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Psalm 102,18

Der HERR wendet sich zum Gebet der Verlassenen und verschmäht ihr Gebet nicht.

Psalm 102,18

Gerne beziehen wir solche Sätze aus der Bibel auf uns selbst – vor allem, wenn uns irgendeine Not plagt. Das ist gewiss möglich. Aber der Psalm, in dem dieser Satz steht, handelt nicht von einem einzelnen Menschen. Es geht um das ganze Volk und die Not, in der es ist. Wir können uns dies kurz vergegenwärtigen: Die heilige Stadt Jerusalem ist zerstört; die Heimat, das gelobte Land Kanaan, ist den Menschen genommen. Sie sind auf der Flucht. Der Psalm ist ein Gebet „für den Elenden“, wie es am Anfang steht. „Elend“ ist ein altes Wort, das für „Exil“ steht. Der „Elende“ ist aus seiner Heimat vertrieben und muss im Ausland wohnen. An diesen ist diese Verheißung gerichtet, die der  Bibelvers  ausspricht.

Es wird nicht über Ursachen gesprochen, auch nicht darüber, ob die Menschen selbst Schuld sind an ihrem Unglück. Es ist einfach das Versprechen: Ich wende mich nicht ab. Ich sehe deine Not, die dich ins Gebet treibt. Nur wenige Verse später steht: „Der Herr schaut vom Himmel auf die Erde, dass er das Seufzen der Gefangenen höre und losmache die Kinder des Todes.“ (Ps. 102,20).

 Ich kann diese Bibelstellen nicht lesen, ohne an die Menschen zu denken, die gerade in diesen Tagen und Wochen ihre Heimat verlassen mussten und auf ihrer Flucht unsagbar schlimme Erfahrungen machen müssen. : Menschen im „Elend“ – und zwar im doppelten Sinne des Wortes: Sie sind ins Exil, ins Ausland gegangen, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr leben können, und haben diese häufig gegen ein großes „Elend“ eintauschen müssen. Schon auf der langen Flucht in großer Gefahr, werden sie dieser auch allzu oft noch ausgesetzt, wenn sie an ihrem Zielort angelangt sind. Was werden sie denken, wenn sie wissen, dass in der Heiligen Schrift derer, bei denen sie Zuflucht suchen, zu lesen steht, dass deren Gott die Gebete nicht verschmäht und auf die Erde niedersieht, um das Seufzen der Gefangenen zu hören?

Die Gebete der Menschen in den Auffang- und Flüchtlingslagern bei uns sind meist nicht so wohl geformt, vielleicht noch nicht einmal an den  Vater Jesu Christi gerichtet. Dennoch spricht auch die Bibel von solchen Gebeten. Jesus spricht im Matthäusevangelium von denen, die zu seinen Nachfolgern kommen als Fremdlinge, Gefangene, Nackte, Kranke. Es sind Gebete ohne Worte – handgreifliche, sichtbare Gebete. Christen  können die Hände und Arme Gottes in dieser Welt sein, mit denen er die Gebete der Elenden erhören will. Sie lassen sich oft dazu gebrauchen, weil sie selbst erfahren haben, dass ihr Gebet erhört wurde. Sie wissen, dass auch bei ihnen selbst nicht nach den Ursachen für die Not gefragt wird. Sie sind dankbar, dass bei ihnen nicht Schuld und Elend einerseits und Leistung andererseits gegeneinander aufgerechnet werden.  Christen  kennen das Wort „Gnade“. Sie sind froh, dass nicht die Motive für ihr Bitten abgefragt werden.

Sie sind das „Angesicht Gottes“, das sich nicht von den Elenden abwendet.  Christen leben von der „Willkommenskultur Gottes“.

Deshalb ist der Bibelvers für heute nicht nur ein Trostwort für alle, die sich in ihrer persönlichen Not an Gott wenden und vertrauen dürfen, dass er bei ihnen ist. Es ist ebenso ein Wort, das uns innehalten lässt und uns hinterfragt und uns ins Nachdenken bringen will: „Du bist das Angesicht Gottes für deinen Mitmenschen im Elend, im Exil, in der Not. In deiner Einstellung zu ihm und in deinem Verhalten ihm gegenüber könnte er den Gott sehen, der sich dem Gebet der Verlassenen zuwendet. In ihm könnte er das erfahren, was uns selbst tröstet und stark macht: Nämlich, dass Gott zu seinen Verheißungen und Versprechungen steht,

Ich wünsche mir, dass wir als Christen Christus nicht zum Lügner machen. Ich wünsche mir, dass sein Geist unsere Einstellung und unser Verhalten zu Menschen im Elend prägt, nicht der Hass und die Abwendung, die ein Zeichen dieser Welt sind, aus der Christus erlöst. Denn es soll auch heute gelten: „Der HERR wendet sich zum Gebet der Verlassenen und verschmäht ihr Gebet nicht.“

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