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22.04.2015 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Christine Keller

Gewissen vs. Staat

Der Vater des Whistleblowers Matthew DeHart über moralische Grenzen

Vom Elitekämpfer zum Staatsfeind“: So lautet der Titel über Matthew DeHarts Leben, den Holger Stark in seinem Bericht im Spiegel gewählt hat. Matthew DeHart arbeitet nach seinem Highschool-Abschluss beim US-amerikanischen Militär und steuert vom Bundesstaat Indiana aus Drohnen, die Bilder in Kriegsgebieten wie Jemen, Afghanistan und Pakistan aufnehmen. Er sieht – nach seinen Angaben –, wie die CIA trotz dichter Wolkendecke Luftangriffe ausführt.  Weil sich DeHart bereits zuvor mit dem Hacker-Kollektiv Anonymous identifiziert, schließt er sich als Reaktion auf die CIA-Angriffe im Sommer 2009 dem Kollektiv an. Das Militär bekommt es scheinbar mit, will DeHart wegen Depressionen – die zuvor nie Erwähnung gefunden haben –  entlassen und entschädigen. DeHart lehnt ab, erhält kurz darauf eine Kündigung. Mit Anonymous-Kollegen veröffentlicht er auf WikiLeaks geheime Dokumente. Nach zwei Tagen werden die Dokumente entfernt – DeHart hat Angst vor den Konsequenzen bekommen.


Matthew DeHart (Mitte) mit seinen Eltern Leann und Paul in Kanada. Bild: privat

Das FBI ist jedoch schon auf ihn aufmerksam geworden und durchsucht Ende Januar 2010 das Haus der DeHarts. Im Durchsuchungsbefehl steht, dass Matthew verdächtigt wird, kinderpornographisches Material zu besitzen. Das FBI ermittelt nun gegen ihn; Matthew DeHart möchte mit seinen Eltern Paul und Leann unterdessen in Kanada ein neues Leben beginnen. Um in Kanada studieren zu können, muss DeHart allerdings ein Studentenvisum in den USA beantragen. Als DeHart deswegen im August 2010 die Grenze zur USA überquert, wird er festgenommen. Er sitzt 20 Monate wegen dem Vorwurf, kinderpornographisches Material zu besitzen, in Untersuchungshaft. Die Richterin stellt den Staatsanwälten dann ein Ultimatum. Als diese keine Beweise vorlegen, wird DeHart unter Auflagen freigelassen. Die Familie stellt in Kanada einen Antrag auf politisches Asyl. Die kanadische Regierung lehnt den Antrag ab, DeHart wird am 01. März 2015 in die USA ausgeliefert. Vier Anklagen werden gegen ihn erhoben: Drei noch immer bezüglich Kinderpornographie und eine, weil er eine Anhörung verpasst hat. Laut seinem Anwalt drohen ihm 80 Jahre Haft. Seine Eltern, Paul und Leann DeHart, kehrten am 01. April in die USA zurück. Wir haben mit Paul DeHart über seinen Sohn, moralische Grenzen und seine eigenen Erfahrungen im Militärdienst und bei der NSA gesprochen.    

Der Whistleblower: Held oder Verräter?

ERF Online: Am 1. März 2015 ist Ihr Sohn Matthew den US-amerikanischen Behörden ausgeliefert worden und befindet sich in Untersuchungshaft. Was ist seither passiert?

Paul DeHart: Matthew wurde aus Kanada über die US-amerikanische Grenze nach Buffalo gebracht – interessanterweise über eine Brücke, die man „Friedensbrücke“ nennt. Er wurde dem FBI übergeben und war für einige Tage in einem staatlichen und einem privaten Gefängnis. Dann wurde er nach Oklahoma gebracht und anschließend in das staatliche Gefängnis in Bowling Green, Kentucky, wo er sich nun befindet. Aufgrund der Anklage der Kinderpornographie befürchtet Matthew Repressalien der anderen Insassen. Deswegen hat er darum gebeten, innerhalb des Gefängnisses in einer Einheit untergebracht zu werden, die ihn vor Angriffen der Mitinsassen schützt. Er sitzt mit zehn weiteren Insassen in einer Zelle im Keller – ohne Fenster. Hier wartet er darauf, sich vor Gericht verantworten müssen. Aber er befindet sich in Sicherheit und konnte uns und seinen Anwalt von jedem Gefängnis aus anrufen. Das ist ein Geschenk für uns.

ERF Online: Für manche ist Matthew ein Held, andere sehen in ihm einen Vaterlandsverräter. Wie sehen Sie das?

Paul DeHart: In meinen Augen ist Matthew weder ein Held noch ein Verräter. Das hängt allerdings von der eigenen Perspektive ab. Für mich ist er eine gewöhnliche Person seiner Generation. Er ist jetzt 30 Jahre alt und ist in einer Zeit aufgewachsen, als das Internet immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. Personen dieser Generation – Edward Snowden und Chelsea Manning gehören auch dazu – sind mit dem Gedanken aufgewachsen, dass das Internet frei ist. Dann haben Unternehmen und Regierungen angefangen in etwas einzugreifen, das diese Generation als ein Recht empfunden hat. Sie haben diese Einschreitung seitens Unternehmen und Regierungen als Gefahr empfunden. Deshalb würde ich sagen, dass er keinesfalls ein Verräter ist. Matthew würde sich selbst niemals als Helden bezeichnen. So denkt er nicht.

ERF Online: Sie haben bereits Chelsea Manning und Edward Snowden erwähnt – beide ebenfalls Whistleblower. Manning übergab Videos und Dokumente bezüglich des Irakkriegs an WikiLeaks, Snowden spielte Dokumente über die NSA direkt in die Hände von Journalisten. Ihr Sohn Matthew ist den „Hacktivists“ Anonymous beigetreten. Jeder der Whistleblower hat sich jeweils für einen anderen Weg entschieden, wie sie ihren Konflikt mit dem US-Militär, der CIA bzw. NSA austragen wollen. Welchen Weg hätten Sie gewählt?

Paul DeHart: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin Produkt einer anderen Generation. Als Kind war ich Pfadfinder und sobald ich alt genug war, bin ich zum Militär gegangen. Ich habe in der Armee und der Air Force gedient. Ich bin also ein Mensch, der Organisationen beitritt und sie unterstützt. In der Zeit, als ich gedient habe, war die Situation eine ganz andere. Wir befanden uns im Kalten Krieg und meine Sicht auf die Welt war schwarzweiß. Insbesondere seit dem 11. September hat sich die Welt und meine Sicht auf die Welt geändert.

Ich habe während meiner Zeit beim Militär nie diesen Machtmissbrauch miterlebt, von dem Manning, Snowden und Matthew berichten. Heutzutage sehen wir immer wieder Enthüllungen darüber, was Regierungen wirklich tun. Wenn Macht nicht reguliert wird, ist immer ein Potenzial für Machtmissbrauch da. Ich habe meinen Dienst im Militär damals so verstanden, dass ich mein Land verteidige. Ich habe mich keinesfalls für das, was wir gemacht haben, geschämt. Es gab in meinen Augen auch nichts, wofür man sich hätte schämen müssen.

Moralische Entscheidungen treffen

ERF Online: Inwiefern ist es für einen Staatsbürger verpflichtend, sich an die Gesetze seiner Regierung zu halten?

Paul DeHart: Das möchte ich aus einer christlichen Perspektive heraus beantworten. Einerseits schreibt Petrus in 1. Petrus 2, 17 Jesu Nachfolgern, dass sie dem König gehorchen sollen. Hätten sich auf der anderen Seite die amerikanischen Kolonisten damals daran gehalten, hätte es keine Amerikanische Revolution gegeben! Nordamerika wäre heute ein ganz anderer Ort. Die USA wäre wahrscheinlich mehr wie Kanada, wo keine Rebellion gegen den König stattgefunden hat. Jesus sagt allerdings auch: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört.“ (Lukas 20, 25) Es gibt also zweifelsfrei ein biblisches Konzept, dass man der staatlichen Gewalt gehorchen soll. Im ersten, zweiten und dritten Jahrhundert lebten die Christen im Römischen Reich. Die Regierung war totalitär und gegen den christlichen Glauben. Trotzdem haben sich die Christen – soweit es ging – an die Gesetze gehalten. Als aber die Apostel aufgefordert wurden, nicht mehr von Jesus zu sprechen, haben sie geantwortet: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apostelgeschichte 5, 29)

Deswegen denke ich, dass es jedem Gläubigen selbst überlassen ist, sich in einer moralischen Situation zu entscheiden: Halte ich mich an dieses Gesetz oder höre ich auf Gott? In einigen Ländern ist es Christen zum Beispiel verboten, Gottesdienste zu feiern. Sie tun es trotzdem. In den südlichen Staaten der USA gab es unter der Konföderation im 18. Jahrhundert Gesetze, die Sklaverei befürwortet haben. Wenn ein weggelaufener Sklave dann vor deinem Haus steht und dich bittet, ihn aufzunehmen: Was würdest du tun? Wenn dein Arbeitgeber einen illegalen Einwanderer für sich arbeiten lässt: Würdest du es der Regierung melden? Die Bibel gibt auf diese speziellen Fragen keine eindeutige Antwort. Da muss jeder seine eigene moralische Entscheidung treffen. Und manchmal muss man eben seinem Gewissen folgen.

ERF Online: Matthew ist seinem Gewissen gefolgt. Dafür drohen ihm jetzt bis zu 80 Jahre Haft. Hilft Ihnen Ihr Glaube, um mit dieser Situation fertig zu werden?

Paul DeHart: Hätten wir unseren Glauben nicht, wären wir ohne jede Hoffnung. Wenn ich nicht daran glauben würde, dass der Herr mein Hirte ist, könnte ich nicht durch das finstere Tal gehen, ohne Unglück zu fürchten (Psalm 23, 4). Unser Glaube an Gott ist das Zentrum unseres Familienlebens seit meine Frau und ich zusammen sind. Wenn Matthew aus einem der Gefängnisse anruft, in dem er sich befindet, sprechen wir gemeinsam den Psalm 23, beten und halten eine Andacht.

Man kann die Schriftstelle aus Römer 8,28 auf viele Weise interpretieren. Paulus schreibt da: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“ Ich weiß, dass es eine der Bibelstellen ist, mit der Menschen nahezu alles rechtfertigen möchten. Aber diese Worte spenden uns in dieser Situation viel Trost – einfach zu wissen, dass wir in Gottes Hand sind und er einen Plan hat. Man kann darauf vertrauen, dass am Ende alles so kommen wird, wie er es vorgesehen hat. Das bedeutet aber nicht, dass Christen in Pakistan nicht mehr aufgrund ihres Glaubens getötet werden. Es bedeutet auch nicht, dass Christen niemals überfallen werden oder in Armut leben müssen. Die Bibel verspricht uns das nicht. Wir leben in einer Welt, in der uns die Folgen von Sünde überall umgeben. Trotzdem: Wenn wir Christus nicht haben, haben wir nichts. Unser Glaube und unser Vertrauen in Jesus hilft uns, diese Situation durchzustehen. Wo auch immer wir hingehen, geht er mit uns. Das ist unsere Hoffnung. 

ERF Online: Vielen Dank für das Gespräch.


Im morgigen Teil des Interviews spricht Paul DeHart über seinen Dienst beim Militär sowie der NSA und wie er Überwachung heute sieht.

 Christine Keller

Christine Keller

  |  Redakteurin

Hat in der Redaktion von ERF Jess gearbeitet. Ist ansonsten als freie Journalistin auch online und hinter der Kamera unterwegs. Sie hat Hummeln im Hintern, was aber nicht weh tut. Sie liebt es, To-Do-Listen zu schreiben und abzuhaken. Wenn‘s doch mal entspannt sein soll, nimmt sie gern ein gutes Buch zur Hand.

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