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05.10.2011 / Themenwoche Schwangerschaft und Kinderwunsch / Lesezeit: ~ 13 min

Autor/-in: Patricia Knodel/ Erich Koslowski

Bin kaum da, muss schon fort

Wie durchlebt eine Frau die Totgeburt eines ersehnten Kindes? Wie trauert ein Mann nach einer Fehlgeburt? Zwei Erfahrungsberichte.

In den Himmel geboren (von Patricia Knodel)

Unsere Geschichte begann damit, dass mein Mann und ich uns entschieden, nach dreijähriger Ehe ein Kind zu bekommen. Wir hatten uns nach unserer Hochzeit im Juni 1996 ganz bewusst noch für uns Zeit nehmen wollen, um unsere Ehe zu festigen, noch zu zweit manches zu erleben und dann - wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war - ein Kind willkommen zu heißen.

Im September 1999 durfte es klappen. Ich war schwanger. Wir haben uns natürlich sehr gefreut und waren auch mit dem neuen Gefühl konfrontiert, „Eltern“ zu werden. Freudig ging ich damals zum Frauenarzt und bekam durch einen Ultraschall die Bestätigung, schwanger zu sein. Doch leider hielt dieses kleine Wunder nur kurz. In der siebten Woche bekam ich Schmierblutungen und verlor mein erstes Kind. Froh war ich, dass ich nicht noch ins Krankenhaus musste, um ausgeschabt zu werden, sondern dass sich die Gebärmutter durch die Blutungen selbst regenerierte. Doch das Verlustgefühl, das ich schon bei dieser ersten Fehlgeburt hatte, war unbeschreiblich. Mein Körper hatte natürlich schon kleine Veränderungen gezeigt und ich war darauf vorbereitet Mutter zu sein bzw. ein Kind in mir zu tragen. Plötzlich wieder umgestellt zu werden, auch hormonell, war wie ein Schlag ins Gesicht.

Mein Mann war auf seine Weise auch sehr traurig darüber, doch konnte er nicht alles ganz so nachvollziehen. Was ich körperlich schon gespürt hatte, war für ihn noch nicht sichtbar. Ich hatte noch keinen Babybauch und dauernd schlecht war mir auch nicht. So war es für ihn schwierig, diese Trauer, die ich empfand, nachzuvollziehen, obwohl er es versuchte. Es gab durch diese Situation kleine Spannungen in unserer Ehe und wir waren froh, dass es keine schwerwiegenden Folgen hatte.

Natürlich hatte ich Angst

Erklärung der Begrifflichkeiten:
Das Statistische Bundesamt erfasst Kinder dann als Lebendgeborene, wenn „nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat.
Totgeborene sind Kinder, bei denen sich keines der genannten Merkmale des Lebens gezeigt hat, deren Geburtsgewicht jedoch mindestens 500 Gramm beträgt. Sie werden im Rahmen der Geburtenstatistik nachgewiesen.
Beträgt das Gewicht der Leibesfrucht weniger als 500 Gramm, so handelt es sich um eine Fehlgeburt. Fehlgeburten werden in den Personenstandsbüchern nicht beurkundet.“

(Gekürzt aus einer Mail des Statistischen Bundesamtes auf eine Anfrage der Redaktion)

Nach drei Monaten wurde ich überraschend schnell wieder schwanger. Voller Freude darüber und natürlich auch mit etwas Angst, wie bei der ersten Schwangerschaft wieder eine Fehlgeburt zu erleiden, stellte ich mich auf „schwanger“ ein. Doch auch bei dieser Schwangerschaft bekam ich gleich am Anfang Blutungen, die mein Frauenarzt auf ein Hämatom zurückführte, das sich in der Gebärmutter gebildet hatte. Ich musste mich deshalb die ersten Monate der Schwangerschaft über schonen und viel liegen. Natürlich hatte ich Angst. Sowohl wir als auch Freunde beteten dafür, dass die Schwangerschaft weiterhin bestehen durfte. Am 9. Dezember 2000 sollte unser Kind zur Welt kommen, aber es kam alles ganz anders.

Ich hatte am 1. August 2000 wieder eine Routineuntersuchung beim Frauenarzt und mein Mann begleitete mich. Komischerweise hatte ich die ganze Zeit vorher ein ungutes Gefühl, als ob mit dem Kind etwas nicht stimmte. Es bewegte sich so gut wie gar nicht und ich selbst wusste zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht, wie sich das anfühlen sollte, da es für mich das erste Mal war, solche Kindsbewegungen zu spüren - oder auch nicht!

Auf dem Ultraschallmonitor fiel mir sogleich auf, dass sich unser Kind überhaupt nicht bewegte. Mein Gefühl sagte mir sofort, dass es nicht mehr lebte. Ich fragte meinen Frauenarzt nach dem Herzschlag des Kindes. Ich sah keinen. Der Arzt merkte wohl auch sofort, dass unser Kind nicht mehr lebte, wollte es aber zu unserer Beruhigung noch normal vermessen. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon in Panik und fragte die ganze Zeit nur nach dem Herzschlag. Natürlich merkte ich auch, dass mein Frauenarzt offensichtlich Mühe hatte, uns diese schreckliche Wahrheit zu bestätigen, was ich die ganze Zeit schon erahnt hatte. Unser Kind war tot.

Mein Mann hat es am Anfang überhaupt nicht realisiert, und als es ihm auch klar wurde, war es für uns beide ein Schock. Mein Frauenarzt versuchte zwar, auf uns einzugehen, aber er war dabei ziemlich hilflos. Er sagte uns, wir könnten uns die Klinik aussuchen, in der ich unser Kind gebären sollte. Ich war ganz durcheinander und fragte, ob ich das Kind tatsächlich auf natürlichem Wege auf die Welt bringen sollte. Ich und mein Körper konnten uns das absolut nicht vorstellen. Später fuhren wir nach Hause, wo wir uns erst einmal richtig ausweinen mussten - und eigentlich immer noch hofften, dass dies alles nur ein böser Traum war.

Ich war noch nicht bereit, das Kind loszulassen

Nach einiger Zeit beschlossen wir, da ich mir sowieso nicht vorstellen konnte, in dieser Nacht zu schlafen, sofort ins Krankenhaus zu gehen, wo auch gerade meine Freundin auf der Frauenstation Nachtdienst hatte. Dieses Krankenhaus war auch deshalb unsere erste Wahl, weil es sich um ein christliches Krankenhaus handelte, in dem ich selbst arbeitete. Gut war auch, dass gerade an diesem Abend eine gläubige Ärztin Dienst hatte, die wir auch privat etwas kannten und die mit unserer Situation ehrlich und einfühlsam umging. Sie bestätigte den Tod unseres Kindes und klärte uns über den weiteren Hergang der Geburt auf. Die Geburt wurde eingeleitet. Ich dachte, dass es schnell gehen würde, doch das war ein Irrtum. Über zwei Tage lang dauerte es, bis unser Kind geboren war, und ich bin mir im Nachhinein sicher, dass ich diese Zeit brauchte, da ich noch nicht bereit war, es loszulassen. Die Geburt selbst verlief auch nicht einfach, da es sich um eine Steißlage handelte und das tote Kind nicht mithelfen konnte. Zum Schluss bekam ich noch eine Vollnarkose. Die Hebamme und der Arzt waren nett und einfühlsam. Mit dieser Geburtssituation waren mein Mann und ich überfordert. Ich war noch in keinem Schwangerschaftskurs gewesen, da es erst die 22.Woche war, und hatte somit keine Ahnung, was auf mich zukam. Ich denke, es ist schon schwierig genug, unter normalen Umständen das erste Mal eine Geburt zu erleben und Eltern zu werden, aber in so einer traurigen Situation ist man einfach nur hilflos.

Als ich mich von der Narkose erholt hatte, kam die Hebamme, die mich bei der Geburt betreut hatte und fragte uns, ob wir unser Kind sehen wollten. Wir stimmten zu. Sie brachte uns unser Kind zugedeckt in einem „Moses-Körbchen“ (Brotkorb). Wir erfuhren, dass wir einen Sohn hatten und sie erklärte uns ganz behutsam, dass unser Sohn sehr schöne Füße habe und wir nicht erschrecken sollten, da er noch sehr unreif aussehe. Als wir unseren Sohn dann sahen, war es ein ganz intensives Gefühl: so ein kleiner Mensch und doch alles vorhanden! In diesem Moment hätten wir alles dafür gegeben, dass er lebt. Es wäre uns egal gewesen, ob er behindert gewesen wäre oder ob er sonstige Makel gehabt hätte: Er war unser Kind!

Die Hebamme zeigte uns Möglichkeiten auf, wie wir weiter vorgehen könnten, Zum Beispiel unserem Kind einen Namen geben oder eine Beerdigung. Als die Hebamme dann gegangen war, durften wir unseren Sohn so lange bei uns behalten, wie wir wollten. Wir hatten uns schon darauf geeinigt, dass er Gabriel (Stärke Gottes) heißen sollte. Auch die Bedeutung des Namens tröstete uns, stärkte Gott uns doch gerade in dieser ganzen Situation. Auf unseren Wunsch hin kam der Krankenhauspfarrer etwa eine Stunde später zu uns, um unseren Sohn auszusegnen. Er hatte sich vorher nach dem Namen unseres Sohnes erkundigt und brachte dann eine Kerze mit, die er selbst gebastelt und auf die er den Namen Gabriel geschrieben hatte. Auch das hat uns sehr gut getan.

Nach der Aussegnung gaben wir unseren Sohn wieder bei den Hebammen ab. Das fiel mir unendlich schwer. Gabriel war zwar tot, aber ich hätte ihn am liebsten mitgenommen. Wir gaben unseren Sohn zur Obduktion frei, um die Gründe feststellen zu lassen, an denen unser Sohn gestorben war. Diese ergab, dass bei mir eine Plazenta-Insuffizienz vorlag, durch die unser Sohn nicht mehr ausreichend ernährt worden war.

Ich freue mich darauf, Gabriel wiederzusehen

Jetzt* ist es über vier Jahre her, was wir mit unserem Gabriel erlebt haben. Mittlerweile haben wir einen dreijährigen Sohn und eine Tochter von acht Monaten. Vielleicht kann man da leichter das Erlebte an Gott abgeben. Jedoch ist es wichtig zu trauern, sich Zeit zu nehmen und Gott zu sagen, dass man ihn nicht versteht. Auch für unsere Ehe war es eine große Spannung. Mein Mann trauerte als Mann anders als ich und ich musste lernen, das zu akzeptieren. Deshalb vermisste er Gabriel nicht weniger. Wichtig war uns auch, dass wir keinen andauernden Groll auf Gott hatten, was am Anfang recht schwierig ist. Man ist wie betäubt, fassungslos und auch wütend. Ich denke jedoch, dass wir im Nachhinein durch diese traurige Erfahrung im Glauben gewachsen sind und sie zu unserem Leben gehört.

Was wir nach dem Tod unseres Sohnes auch noch stark empfanden, war eine Sehnsucht nach der Ewigkeit. Es war uns egal, ob wir ein schönes Haus, ein tolles Auto, Urlaub usw. hatten oder nicht. Alles Materielle war plötzlich unwichtig. Ich glaube, wir hätten uns sogar gefreut, bei Gabriel in der Ewigkeit zu sein. Zum Schluss muss ich sagen: Ich freue mich darauf, Gabriel wiederzusehen und zu wissen, er ist bei Gott geborgen und beschützt.

* Die Angabe bezieht sich auf den Zeitpunkt, zu dem Frau Knodel Ihre Erfahrung aufgeschrieben hat.


Männer weinen nicht (von Erich Koslowski)

Eine Frau verliert ein Kind, nicht ihr Mann. Fehlgeborene Kinder sind Frauensache, wie auch das vorliegende Buch beweist. Nur wenige Männer waren bereit, sich zu dem Thema zu äußern. Warum? Beginnt das Leben für Männer später als für Frauen? Glauben Männer nicht wirklich an die Würde und den Wert eines Menschen vom Augenblick der Zeugung an? Oder sind wir einfach nur zu träge oder abgebrüht, um uns lange Gedanken zu machen über das Ende eines Lebens, dessen Anfang wir zwar lustvoll auf den Weg gebracht haben, dessen Fortgang für uns aber nicht spürbar war?

Wie habe ich den Tod unseres Kindes Samuel vor seiner Geburt erlebt? Was war das Besondere oder typisch Männliche an meinem Umgang mit der Todeserfahrung? Das entscheidende Erlebnis war die schier unüberbrückbare Distanz zu meiner trauernden Frau. Der Tod von Samuel war für sie ein so intensives Erleben, dass ich mir mit meinen paar Tränen, mit meinen oberflächlichen Fragen und meinem alltäglichen Tun ganz deplatziert vorkam. Ich ging zur Arbeit und nicht in die Selbsthilfegruppe. Ich schaute fern und verharrte nicht im Gebet. Ich schrieb Businesspläne und nicht Tagebuch. Und der Tod unseres Kindes spielte bei all dem keine Rolle, das ist wahr.

Gefühle für das tote Kind heraufbeschören?

Da Fehlgeburten nicht erfasst werden, gibt es keine genauen Angaben, wie viele werdende Eltern mit einem solchen Verlust konfrontiert werden. Es lässt sich lediglich sagen, wie viele Frauen aufgrund einer Fehlgeburt stationär behandelt werden. 2009 waren das bundesweit ca. 25.000 Patientinnen1. Die Rate der Totgeburten lag 2009 bei 0,35% auf 100.000 Geburten2.

Die Trauerarbeit meiner Frau war so omnipräsent, dass ich mich trotzig-traurig dagegen verwehrte, selbst um unser Kind zu trauern. Symbolisch dafür war das meiner Meinung nach völlig überdimensionierte, schneeweiße Kreuz, das Jutta von einem lieben Nachbarn hatte anfertigen lassen, um es im Gedenken an unser gestorbenes Kind an prominenter Stelle in unserem Garten zu platzieren – wogegen ich mich lauthals wehrte. Das Maß war voll. Was war dem noch hinzuzufügen? Was blieb noch für mich übrig?

Doch eins ist wahr: Trauern ist Arbeit! Sie zu leisten ist eine heilige Pflicht, eine unumgängliche Notwendigkeit. Notwendig schon deswegen, damit wir uns als Ehepaar unserer Kinder vergewissern: Haben wir zwei oder drei Kinder? Ist eins gestorben oder verloren? Ist es irgendwo aufgehoben oder für mich nie gewesen? Die Nachricht des Arztes, der keine Herztöne mehr feststellen konnte, war dabei aber ebenso wenig eine Trauerhilfe wie die Stunden im Krankenhaus, als meine Frau den grausigen Eingriff über sich ergehen lassen musste, durch den unser Kind ihren Leib verließ. Diese Erlebnisse haben mich der Mutter des Kindes näher gebracht: Ich habe mit ihr getrauert, sie getröstet und ihr Leid getragen – nicht meins. Auch gelang es mir nicht, in ruhigen Momenten und aus schlechtem Gewissen heraus Gefühle für Samuel heraufzubeschwören und im Nachhinein eine Beziehung zu entwickeln, die vor dem Tod nicht bestanden hat.

Doch es gab zuletzt auch für mich die intensiven Erfahrungen, die mir gezeigt haben, dass ich nicht unfähig zur Trauer gewesen bin, sondern einen konkreten äußeren Anlass brauchte, um den notwendigen Prozess zu durchlaufen. Dabei spielte die Beerdigung elf Wochen später eine entscheidende Rolle. Sie bot mir die Möglichkeit, durch mein Zutun die Trauer nachzuholen, die ich kurz nach dem Tod von Samuel nicht erlebt hatte. Die sensiblen Krankenhausseelsorger im St.Clemens-Hospital in Geldern erlaubten mir nicht nur, den Sarg für die fehlgeborenen Kinder des letzten Vierteljahres zu bauen; ich durfte auch eine Lesung während des Trauergottesdienstes übernehmen, den Sarg von der Friedhofskapelle bis zum offenen Grab tragen und ihn mit Hilfe des Bestatters in die Erde senken.

Das Holz des Sarges war in Trauer getränkt

Den Sarg habe ich auf amateurhafte Weise, aber mit einigem Ehrgeiz hergestellt. So sollte er nur aus Holz sein, weder Schrauben noch Nägel durften ihn zusammen halten. Mein vierjähriger Sohn Erich Jakob war dabei wie gewohnt eine große Hilfe. Und während solcher Arbeit und im Gespräch mit ihm wurde mir ganz unmittelbar bewusst, dass es die letzte Ruhestätte eines Menschen, meines Kindes ist! Es war traurig und schön zugleich, dass ich für Samuel noch etwas tun konnte, nachdem ich zuvor an seinem Leben und Sterben keinen spürbaren Anteil hatte. Die Trauer über den Verlust eines ganzen Lebens, einer Kindheit, einer Jugend, einer Lebensblüte und eines eigenen Familienlebens, die Trauer über die gemeinsame Zeit mit Samuel und über seine verlorenen Kinder und Enkelkinder hat mich beim Sägen und Schleifen überrascht – das Holz war in Trauer getränkt und so für die Ewigkeit haltbar gemacht.

Später war es ein Text aus dem Buch Samuel – der Lobgesang der Hannah –, der die ganze Traurigkeit über den Verlust des Unbekannten zum Leben erweckt und machtvoll an die Oberfläche meiner Gefühlswelt gedrängt hat. Ich wurde, wie auch am nächsten Tag im Gottesdienst, von meinen Tränen völlig übermannt. Wie überrascht war ich selbst über den Schmerz, der in mir schlummerte – und wie froh darüber, endlich Gelegenheit zu haben, ihn auszudrücken.

Nach der Trauerfeier durfte ich den Sarg mit den sterblichen Überresten von 34 Kindern zur Sammelgrabstätte tragen. Aus massivem Holz gearbeitet und andächtig mit ausgestreckten Armen vor mir hergetragen, wurde der Sarg schwerer und schwerer. Als könnte ich in einem Moment die ganze Last der vielen Nächte auf einmal spüren, in denen ich Samuel hätte wiegen dürfen, wenn er schlaflos jammerte … Diese körperliche Erfahrung war wohl das wertvollste Erlebnis des gesamten Trauerprozesses.

Nachholen, was unverzichtbar ist

Das Gräberfeld auf dem städtischen Friedhof, erst im Jahr 2003 eröffnet, ist ein wunderbarer Ort der Andacht, für den auch die Stadt Geldern viel Lob verdient. Ein kleines Grab war frisch ausgehoben. Nicht mit dicken Tauen wie sonst üblich ließen wir den Sarg in die Erde hinab; es reichten zwei dünne Schnüre. Erich Jakob hat seinem Geschwisterchen eine Birne mit ins Grab gelegt; Fontanes „Herr von Ribbeck“ hatte sich ihm hoffnungsvoll eingeprägt. Alle Anwesenden hatten bereits eigene Erfahrungen mit dem Verlust eines Kindes gemacht. Die Atmosphäre über dem offenen Grab war von einem tiefen Verständnis füreinander geprägt. Und kein offizieller Abschluss der Trauerfeier erzwang den Abschied; jeder blieb so lange er wollte und konnte.

So hatte ich meine Form und meinen Ort gefunden, die Beziehung zu meinem Kind zu leben und meine Gefühle über seinen Tod auszudrücken. Im sich anschließenden Urlaub konnten meine Frau und ich erleben, dass wir erneut vereint waren in unserem Familiensystem. Ich hatte nachgeholt, was unverzichtbar ist: den großen Gefühlen Namen, Ausdruck und Bedeutung zu geben, anstatt sie in gewohnt männlicher Weise zuzudecken. Gott hat (Präsens) dafür immer den richtigen Zeitpunkt, an dem er diese Zumutung geschehen lässt, wenn wir selbst und unser Umfeld dazu bereit sind. Das offene Grab ist dann nicht der schlechteste Ort, wieder in Einklang mit sich selbst und der eigenen Familie zu kommen.
 


Wir danken dem Brendow Verlag für die freundliche Genehmigung, Auszüge aus "Bin kaum da, muss schon fort" zu veröffentlichen!


„In den Himmel geboren“ und „Männer weinen nicht“ sind Erfahrungsberichte aus dem Buch „Bin kaum da, muss schon fort“ von Sabine Herold (teilweise gekürzt):

Das Buch Bin kaum da, muss schon fort


1 Diagnosedaten der Krankenhäuser nach Behandlungsort (Gesundheitsberichterstattung des Bundes)
2 Geburten und Sterbefälle (Gesundheitsberichtserstattung des Bundes)

Ihr Kommentar

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Kommentare (6)

B. + M. /

Es könnte meine Geschichte sein. Mein Mann und ich haben genau das selbe erlebt. Wir waren überglücklich ungeplant ein Kind zu bekommen. Dann starb plötzlich und unerwartet mein geliebter Vater und 3 mehr

Karin /

Auch wenn es bei mir schon ca. 20 Jahre her ist, dass ich 6 Kinder an einer Fehlgeburt und ein Kind bei einer Eileiterschwangerschft verloren habe, berührt mich dieses Thema imme noch sehr. Es gehört mehr

Kathrin /

Ich habe das Buch "Bin kaum da, muß schon fort" selber auch schon fast zu Ende gelesen und fühle mich in vielen Punkten sehr verstanden. Habe vor ca 2 1/2 Jahren einen Zwilling verloren und auch mehr

Tobias /

Vor 33 Jahren.
Ich habe diesen Beitrag aufmerksam gelesen. Gerade in solchen Situationen ist es sehr schwer, sich in den anderen hinein zu versetzen. Wie war das individuelle Leben vorher, wie mehr

Femina /

Mir wird wieder einmal mehr klar: Die Frauen sind die eigentlichen Lastenträger der Menschheit! In diesem Sinn war ich auch noch nie damit einverstanden, dass die Frau als das schwächere Geschlecht mehr

Roesger /

Eine sehr tiefgehende Betrachtung des Themas. Meine Frau ist als Kinderkrankenschwester auch mit dem Thema konfrontiert. Es ist für sie manchmal sehr bedrückend mit betroffenen Eltern zu sprechen. mehr

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