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25.05.2011 / Glaube praktisch gelebt / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Rolf-Dieter Wiedenmann

Verschleppt, verkauft, zwangsprostituiert

Menschenhandel: ein Milliardengeschäft mit unzähligen Opfern. Gaby Wentland möchte Frauen befreien und neue Hoffnung geben.

Weniger reden, mehr tun. Frei nach diesem Motto gründete Gaby Wentland den Verein Mission Freedom, dessen Ziel es ist, Frauen aus der Zwangsprostitution zu befreien und ihnen eine neue Perspektive im Leben zu schenken. ERF Medien sprach mit ihr über das Problem der Zwangsprostitution in Deutschland, warum nur wenige Betroffene zur Polizei gehen und wie Mission Freedom konkret vorgeht, um die Frauen zu befreien.

ERF Online: Frau Wentland, Sie sind Vorstandsvorsitzende des neu gegründeten Vereins Mission Freedom. Wie kam es zur Gründung und wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

Gaby Wentland: Vor zweieinhalb Jahren habe ich das Wort "Zwangsprostitution“ zum ersten Mal gehört, als ich eine Sprecherin aus dem Ausland übersetzte, die davon erzählte. Ich bin ins Internet gegangen und habe mich schlau gemacht, was Zwangsprostitution überhaupt ist. Dabei bin ich darauf gestoßen, dass tausende junge Frauen weltweit aus ihren Dörfern und Kleinstädten verschleppt werden. Sie werden angeheuert für einen tollen Job mit wunderschönen Versprechungen. Und diese jungen Frauen, die zum Teil erst vierzehn sind, kommen dann in unsere westliche Welt und werden auf dem Weg hierher auf massivste Weise bedroht, vergewaltigt und dann in Bordellen gezwungen anzuschaffen. Das heißt, sie müssen bis zu 40 Männer am Tag mit sexuellen Praktiken bedienen.

ERF Online: Wenn man in Deutschland das Wort Menschenhandel hört, dann denken viele: Das ist weit weg, das betrifft uns nicht. Wie erklären Sie sich dieses Vorurteil? Ist es einfach Unkenntnis?

Gaby Wentland: Ja. Es ist so, dass sehr viele Fachstellen und auch Politiker Bescheid wissen, aber das Thema immer wieder unter den Teppich gekehrt wird. Es ist wahrscheinlich eines der größten Geschäfte der Welt, ein Milliardengeschäft. Weltweit werben einzelne Schlepperbanden, die ganz unterschiedlich organisiert sind, ganz massiv junge Frauen an, zum Teil auch durch persönliche Beziehungen. Sie versprechen ein tolles Leben, Arbeit und eine gemeinsame Zukunft. Und diese jungen Damen folgen den Männern nach Deutschland, aber auch in andere Länder, und werden dann hier einfach in Bordellen, Wohnungen oder Massagesalons untergebracht und müssen täglich bis zu vierzehn Stunden arbeiten. Sie werden absolut abhängig gemacht, bedroht und erleiden unsagbare Qualen, allein schon körperlich.

ERF Online: Nach Schätzungen des BKA gibt es zehntausende Opfer. Wie kommt es, dass sich viele Opfer nicht richtig bemerkbar machen? Warum gehen sie nicht zur Polizei oder sorgen vielleicht sogar über Kunden dafür, dass ihr Schicksal bekannt wird?

Gaby Wentland: Das ist ein Phänomen, das man lange nicht verstanden hat. Diese jungen Frauen sind einfach so verängstigt. Sie wissen: Wenn sie einen falschen Schritt machen, wird der Täter ihnen so viel Brutales antun, dass sie gar nicht wagen, einen Schritt in die falsche Richtung zu machen. Sie sind Sklaven und haben gar keine Chance, sich zu melden. Sie versuchen auch immer wieder, an die Männer heranzutreten und zu sagen: Du musst mir helfen. Das endet aber oft damit, dass der Zuhälter das mitbekommt und die Frau bestraft.

ERF Online: Aus welchen Ländern stammen die Frauen?

Gaby Wentland: Momentan sind es eher Länder aus dem Osten: vor allem Rumänien, aber auch Bulgarien und Tschechien. Arme Länder, die momentan sehr viel Mangel an Arbeit haben. Eine wachsende Zahl kommt auch aus Afrika, ganz besonders aus Nigeria. Das sind hunderttausende von Frauen, die dort zum Teil sogar von Frauen rausgeschleust werden. Betroffen sind auch Thailand oder die Philippinen, aber die sind in Deutschland nicht mehr so massiv vertreten.

ERF Online: Was tut der Staat gegen diese Form von Kriminalität?

Gaby Wentland: Prostitution wurde in Deutschland legalisiert, um den Frauen zu helfen und um ihnen Rechte zu verschaffen. Das ist aber leider nicht passiert. Es wird zwar vehement dementiert. Aber die Frauen, die zwangsprostituiert werden, haben durch diese Legalisierung einfach einen Gewerbeschein.  Wenn die Polizei in den Bordellen eine Razzia macht, sagt die Frau in gebrochenen Deutsch: Ich Gewerbeschein, ich bin legal, ich wollen nicht raus. Damit hat der Polizist keine Handhabe, obwohl er ihren Augen ansieht, dass das, was sie sagt, wahrscheinlich nicht stimmt. Das ist eine echte Problematik in unserem Land.

ERF Online: Mit welchen Problemen ist eine Frau konfrontiert, die den Ausstieg aus der Prostitution tatsächlich geschafft hat?

Gaby Wentland: Oft müssen die Frauen mit ihrem ganzen zerstörten Selbstbild zurück in ihre Heimat und werden sich irgendwann wieder in diese Sache reinschleusen lassen. Das ist das Seltsame. Die Frauen geraten da wieder rein, weil sie so zerbrochen sind und das Gefühl haben: Ich bin für nichts mehr gut. Das einzige, was ich noch habe, ist mein Körper.

Deswegen ist es uns wichtig, diese Frauen ganzheitlich zu betreuen bis wir das Empfinden haben, sie sind wirklich fit und fähig, ein Leben alleine zu führen. Wir wollen ihnen eine Ausbildung anbieten und sie als Kosmetikerin, Masseurin oder Näherin ausbilden. Dann möchten wir ihnen mit einem Mikro-Kredit helfen, sodass sie sich in ihrem Land ein kleines Geschäft aufbauen und sich selbstständig machen können.

ERF Online: Mission Freedom ist ein ganz junger Verein. In welcher Phase befinden Sie sich momentan?

Gaby Wentland: Wir haben vor zweieinhalb Jahren das erste Mal von der Zwangsprostitution gehört und jetzt am 1. Januar 2011 den Verein gegründet. Unser Vorstand besteht aus Frauen, die sich aus verschiedenen Gruppen und Gesellschaftsschichten zusammengetan haben. Wir möchten aufstehen und aufklären, was wir überhaupt machen, sodass Menschen überhaupt erfahren, was los ist in unserem Lande. Wir gründen gerade ein Haus, in das Frauen aufgenommen werden können. Wir wollen eine ganzheitliche Betreuung anbieten, den Frauen eine Zukunft bieten und mit den Ländern, aus denen sie kommen, enge Kontakte pflegen, damit die Frauen, wenn sie zurückgehen möchten, vor Ort auch eine weitere Betreuung haben.

ERF Online: Wie kommen Sie in Kontakt mit den betroffenen Prostituierten?

Gaby Wentland: Wir haben hier in Hamburg schon seit vielen Jahren sogenannte Street Teams. Diese Teams sind an jedem Tag der Woche in den Rotlichtvierteln unterwegs - betend, versorgend – und haben sich auf unterschiedlichste Weise schon den Prostituierten genähert. Es gibt junge Frauen, die auf dem Herzen haben, Freundschaften mit dem Prostituierten zu pflegen, die in die Bordelle zu den Mädchen gehen und sich um sie kümmern. Das ist ein sehr guter Dienst, aus dem die meisten Kontakte entstanden sind.

ERF Online: Wie finden Sie heraus, ob es sich wirklich um Opfer handelt?

Gaby Wentland: Das ist sehr schwer. Aber wenn man Vertrauen in den Herzen dieser Frauen findet, erzählen sie es. Dann sagen sie zum Beispiel, dass sie geholt oder mit einem Bus gekommen sind. Es gibt dafür schon ganz leichte Anzeichen.

Mission Freedom ist ein gemeinnütziger Verein, der zum Ziel hat, Frauen aus der Zwangsprostitution zu befreien. Der Verein bietet den Frauen nicht nur ein Zuhause, sondern auch psychologische Betreuung sowie eine Ausbildungsmöglichkeit. Finanziert wird die Arbeit allein aus Spenden. Mehr erfahren Sie unter www.mission-freedom.de.

ERF Online: Welche Rolle spielt der christliche Glaube?

Gaby Wentland: Es ist der christliche Glaube, den wir persönlich leben und der uns motiviert. Das Faszinierendste am christlichen Glauben ist ja die bedingungslose Liebe. Das heißt: Ich verurteile dich nicht, ich bin nicht der Moralapostel. Ich möchte einfach diesen Frauen offene Arme geben und ihnen sagen: „Du darfst so lange bei mir bleiben, wie du willst, bis du das Gefühl hast, du kannst wieder aufstehen und ohne Tränen in den Tag gehen. Ich will bei dir sein, dir helfen und dich lieben. Dir zeigen, was das Leben bedeutet. Es gibt einen Vater, der sich um dich kümmert. Und das ist Gott. Der wartet auf dich.“ Wie die Frauen dann Gott genau finden, das möchte ich ihm überlassen. Denn Gott ist größer als ich und kann es besser.

ERF Online: Wie sieht Ihre langfristige Vision aus?

Gaby Wentland: Langfristig möchte ich einmal hundert, hoffentlich tausend Frauen kennen, die mir sagen: „Das Leben hat sich verändert. Ich war eine völlig zerbrochene Frau und bin wiederhergestellt worden, habe Hoffnung und Zukunft bekommen. In meinem Land habe ich jetzt eine Aktion gegen Menschenhandel gestartet und kämpfe dagegen auf meine Weise.“ Und ich wünsche mir, dass die Gesellschaft das Thema realisiert und Gesetzesänderungen vorgenommen werden. Dass die Täter bestraft werden und die Polizei befähigt wird, bessere Razzien durchzuführen.

ERF Online: Gibt es besondere Gebetsanliegen?

Gaby Wentland: Ja, wir brauchen gute Mitarbeiter. Damit meine ich Menschen, die sich von alleine berufen wissen, diese Arbeit zu tun. Denn es ist eine Herausforderung, die einen an die Grenzen führt. Man wird nicht einfach einen acht Stunden Job machen, nach Hause gehen und alles vergessen können, sondern es wird Spuren hinterlassen. Aber - und das ist das Schöne an dieser Aufgabe - es wird ein sehr belohnender Job sein.

ERF Online: Vielen Dank für das Gespräch!


Ein weiteres Interview mit Gaby Wentland zum Thema Menschenhandel sehen Sie in der Fersernsehsendung "Gott sei Dank" auf ERF 1.

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Kommentare (8)

Chris /

an die Bedürfnisse der Freier denkt keiner. Die müssen sehen wie sie ihre Gottgegebenen Bedürfnisse befriedigen. Da es an Frauen mangelt sehe ich keine andere Möglichkeit als sich der Prostitution zu bedienen

bettina p. /

Im Wartburg Gesprächskreis habe ich Gaby Wentland sehr geschätzt.
Ein unmittelbarer Nachbar der Akademiker ist eine eigenes Unternehmen hat und immer Tip Top äusserlich auftrat...
Kaum zu mehr

sensiblo chamaeleon /

vielen dank für ihr engagement! ein wesentlicher schritt zur befreiung der opfer von human trafficking ist außerdem eine bessere zusammenarbeit der vielen existierenden organisationen auf mehr

RUDOLF H. /

wir brauchen mehrere FRAUEN wie GABY WENTLAND in ÖSTERREICH + DEUTSCHLAND + SCHWEIZ + LICHTENSTEIN

Alexandra G. /

Liebe Birgit, klar, das sehe ich auch so. Allerdings finde ich es wichtig auch zu sehen, dass es bereits über 30 Einrichtungen gibt, deren Engagement durchaus zu würdigen ist. Wie ich geschrieben habe freuen wir uns, wenn weitere entstehen!

Birgit E. /

Liebe Alexandra, ich finde, es kann nie genug engagierte Menschen geben, diesen Frauen zu helfen. Als jahrelange ehrenamtliche MA eines Frauenhauses habe ich viele verzweifelte Frauen kennengelernt und ich meine, es kommt nicht daraufan, welche Einrichtung hilft, sondern dass! geholfen wird.

Valerie /

Ich finde Ihren Mut und Tatendrang sehr inspirierend und hoffe, dass Sie viele Frauen aus diesen schrecklichen Lebensverhältnissen befreien können und ihnen ein besseres Leben ermöglichen können!

Alexandra G., Mitternachtmission /

Wir freuen uns immer, wenn sich (christlich motivierte) Menschen für andere, gerade auch von Zwang und Gewalt betroffene Frauen, einsetzen. Daher wünschen wir der Arbeit von Mission Freedom sehr mehr

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