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© Marcelo Matarazzo / unsplash.com

06.10.2011 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Kim Rosta

Wenn das ersehnte Baby nicht kommt

Ingeborg Händler ist ungewollt kinderlos. Was das für sie selbst, ihre Ehe und ihre Gottesbeziehung bedeutet.

„Haben Sie Kinder?“ Früher oder später kommt diese Frage in einer Vorstellungsrunde, auf der Gartenparty oder in der Gemeinde.  Etwa jedes siebte Paar in Deutschland bleibt ungewollt kinderlos. Für solche Paare, die keine Kinder bekommen können, kann diese Frage sehr schmerzhaft sein. Ingeborg Händler ist selbst kinderlos und engagiert sich heute bei der Initiative „Hannahs Schwestern" für Paare, denen es genauso geht. 


ERF: Frau Händler, Sie haben mit 25 Jahren geheiratet und gingen – wie vermutlich viele Paare – wie selbstverständlich davon aus, dass Sie einmal Kinder haben werden. Wann kam Ihnen zum ersten Mal der Verdacht, dass sich Ihr Kinderwunsch vielleicht nicht erfüllen könnte?

Ingeborg Händler: Wir sind wirklich unbekümmert in unsere Ehe gegangen, offen für Kinder von Anfang an. Nachdem ich dann aber nicht schwanger wurde, hatten wir schon recht früh eine Ahnung, dass etwas nicht stimmt. Uns wurde bewusst, dass es nicht selbstverständlich ist, Kinder zu bekommen.
 

Ingeborg und Stephan Händler (Foto: privat)
Ingeborg und Stephan Händler (Foto: privat)

ERF: Wie sind Sie und Ihr Mann dann vorgegangen - erstmal zum Arzt?

Ingeborg Händler: Ich war ganz normal zur Routineuntersuchung beim Gynäkologen. Er hatte mitbekommen, dass ich geheiratet hatte und dann recht offen gefragt: „Wie sieht's denn mit dem Wunsch nach Kindern aus?“ Das war ein dreiviertel Jahr nach unserer Hochzeit. Auf diese Frage hin hatte ich den Mut mich zu outen. Es war der Beginn einer Reihe von Untersuchungen.

ERF: Irgendwann kam für Sie die traurige Diagnose. Was war Ihre erste Reaktion?

Ingeborg Händler: Nachdem die Diagnose vom Arzt ausgesprochen war, brach innerlich eine Welt für mich zusammen. Ich fühlte mich total aufgewühlt und gleichzeitig leer, obwohl wir insgeheim schon damit gerechnet hatten. Jetzt war es ausgesprochen und menschlich gesehen definitiv!
 

ERF: Ich kann mir vorstellen, dass eine solche Diagnose ein Paar schnell in einen inneren Konflikt geraten lässt. Auf der einen Seite möchte man alles Menschenmögliche tun, um schwanger zu werden. Auf der anderen Seite fragt man sich als Christ, welche medizinischen Methoden man mit seinem Glauben vereinen kann. Wie sind Sie und Ihr Mann mit dieser Spannung umgegangen?

Ingeborg Händler: Diese Spannung ist wirklich sehr groß. Wir haben uns schon während der Zeit der medizinischen Abklärung Gedanken gemacht: Wie weit können und wollen wir gehen, besonders was das Thema künstliche Befruchtung angeht? Was sagt Gott dazu? Er hat ja schließlich diesen Wunsch nach Kindern in uns hineingelegt.

Dann sind wir beide unabhängig voneinander zum gleichen Schluss gekommen: Gott selbst ist der geniale Erfinder von Sexualität und werdendem Leben und diesen Akt wollen wir auch in dieser Dreisamkeit - zwischen ihm, meinem Mann und mir - belassen. Hier sollte kein Vierter „mitmischen“. Wir konnten für uns künstliche Befruchtung nicht bejahen. Eine Hormonbehandlung oder eine notwendige OP wären okay gewesen, aber die Grenze zur künstlichen Befruchtung wollten wir nicht überschreiten.

Andere reagierten auf die Diagnose unsicher und hilflos

ERF: Haben Sie in dieser Zeit Hilfe und Beratung finden können, zum Beispiel in Ihrer Gemeinde?

Ingeborg Händler: So gut wie keine, leider! Das Ganze war ungefähr vor 16 Jahren. Da gab es noch relativ wenig Infomaterial, Internet hatten wir auch nicht. Nach längerem Suchen haben wir dann zwei Bücher gefunden, die uns geholfen haben und Antworten auf manche Fragen gaben.

Auch in der Gemeinde haben wir nicht wirklich Hilfe in dieser Situation gefunden. Es ist – zum Teil heute noch – ein Tabu-Thema. Wir haben irgendwann angefangen, offen darüber zu reden. Da begegneten uns eher Hilflosigkeit, Unsicherheit und auch Sprachlosigkeit.
 

ERF: Eine Hilfe ist es dann auch nicht, wenn in einer Gemeinde viele Kinder sind. Zudem begegnet einem die Frage „Wollt ihr nicht auch bald mal Kinder“ sicher sehr häufig. Wie geht man als ungewollt kinderloses Paar mit solchen Situationen am besten um?

Ingeborg Händler: Ich kann nur sagen, wie wir damit umgegangen sind. Am Anfang, als wir selbst noch in diesem ganzen Auseinandersetzungsprozess waren, haben solche Bemerkungen einfach wehgetan. Wir haben versucht auszuweichen oder abzulenken. Als wir dann gemerkt haben, dass es so ist und wir schließlich nichts dafür können, haben wir offen darüber gesprochen. Diese Offenheit hat Entlastung gebracht. Aber sie macht auf der anderen Seite natürlich auch wieder verletzlich.
 

ERF: Obwohl viele Kommentare sicher nur gut gemeint waren -  wie kann ein Außenstehender diesbezüglich sensibler werden? Gibt es typische Fehler, die man vermeiden kann?

Ingeborg Händler: So allgemein würde ich sagen, dass man möglichst sensibel mit irgendwelchen Bemerkungen zum Thema Kinderwunsch sein sollte. Im Umgang miteinander kann man auch darauf achten, dass man andere Themen als nur Familie und Kinder anschneidet. Mir ging es einmal so, als ich zu einem Geburtstagsfrühstück eingeladen war. Alle Gäste außer mir waren Mütter und der ganze Vormittag war von Schule und Erziehung geprägt. Ich habe hinterher gedacht: Was habe ich da eigentlich gemacht? Es gibt ja auch noch andere Themen. Ich weiß, dass Familie prägt und das kann ich auch total nachvollziehen. Aber als Betroffene, ungewollt Kinderlose, kommt man sich einfach als Außenseiter vor.

Zudem braucht ein ungewollt kinderloses Paar keinen billigen Trost: „Das wird schon noch!“ Oder „Entspann dich.“ Genauso keine unaufgeforderten Ratschläge, was es alles für Möglichkeiten gibt. Wenn eine engere Beziehung und eine Vertrauensbasis da ist, kann man ruhig nachfragen: „Wie geht es dir an diesem Punkt?“ oder „Was ist dir eine Hilfe“? Das wiederum tut gut, weil es echte Anteilnahme zeigt. Und vielleicht als letzter Tipp: Man sollte Kinderlosigkeit als Not des anderen sehen. Ein Kommentar wie „Sei doch froh, du kannst nachts durchschlafen“ stimmt zwar, aber hilft im Leid wirklich nicht weiter.

Ich habe Gott als jemanden kennengelernt, der mir ganz viel schenkt

ERF: Trotzdem ist die Gefahr sicher groß, eifersüchtig und bitter zu werden.

Ingeborg Händler: Die Gefahr ist recht groß, sich zu vergleichen, zu verbittern oder sich ungerecht behandelt zu fühlen. Mein Anliegen Gott gegenüber war von Anfang an, dass er mir hilft, nicht bitter zu werden. Ich wollte ohne ständig wiederkehrenden Schmerz Kindern und schwangeren Frauen begegnen können. Gott hat mein Gebet erhört: Ich kann mich heute wirklich mitfreuen, wenn andere schwanger sind. Darüber bin ich sehr froh und dankbar.
 

ERF: Hat der unerfüllte Kinderwunsch ihre Beziehung zu Gott beeinflusst?

Ingeborg Händler: Auf jeden Fall. Am Anfang war es ein Kämpfen mit ihm, ein Fragen und Ringen. In der Anfangszeit habe ich mich ein bisschen gefühlt wie Jesus im Garten Gethsemane: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen“! Aber ich bin davor schon länger mit Gott unterwegs gewesen und habe ihn auch anders kennen gelernt. Nicht als denjenigen, der mir etwas nimmt oder bestraft, sondern der mir ganz viel schenkt. Diesem Gott wollte ich weiter vertrauen. Es war eine willentliche Entscheidung, bei der die Gefühle erst später kamen. Dennoch gibt es auch heute noch Fragen an Gott, auf die ich keine Antwort habe. Meine Beziehung zu Gott wurde enger, tiefer und ich darf erleben, wie er mich in anderen Bereichen und Aufgaben segnet und gebraucht.
 

Wer als Christ ungewollt kinderlos ist, wird mit vielen Fragen konfrontiert: Welche medizinischen Möglichkeiten gibt es? Welche Methoden kann ich mit meinem Glauben vereinen? Warum schenkt Gott ausgerechnet mir kein Kind?
Hannahs Schwestern ist eine Initiative von ungewollt kinderlosen Christen, die anderen Betroffenen in diesen Fragen weiterhelfen möchten. Durch ihr Internetforum aber auch persönlichen Treffen bieten sie die Möglichkeit, sich gegenseitig auszutauschen und zu ermutigen.

Nähere Informationen finden Sie auf hannahsschwestern.de.

ERF: Wie hat diese Zeit Ihre Ehe geprägt?

Ingeborg Händler: Wir sind unterschiedlich damit umgegangen. Ich bin eher jemand, der darüber reden muss und mein Mann hat es meist mit sich selbst ausgemacht. Aber insgesamt hat diese Krise uns zusammengeschweißt. Wir hatten schon vor der Diagnose beschlossen, dass wir zueinander stehen wollen, egal wer „schuld“ ist. Wir haben uns füreinander entschieden, haben Ja zueinander gesagt. Dann ist das auch unsere gemeinsame Last, die uns da auferlegt wird, auch wenn vielleicht die Ursache nur bei einem liegt.
 

ERF:  Heute sind Sie selbst bei der Initiative Hannahs Schwestern aktiv. Was genau macht Hannahs Schwestern und wie kann dort ein ungewollt kinderloses Paar Hilfe erhalten?

Ingeborg Händler: Hannahs Schwestern ist eine Initiative für ungewollt kinderlose Ehepaare. Hauptsächlich für Christen, aber jeder ist willkommen. Hannahs Schwestern zielt darauf ab, einen Austausch zwischen Betroffenen zu ermöglichen. Das meiste läuft momentan über unser Internetforum. Dort kann man sich über Forumsbeiträge oder im Chat mit den Mitarbeitern und anderen Betroffenen austauschen. Es geht aber auch per Mail oder Telefon. Wir bieten auch regionale Treffen an und ein Wochenende pro Jahr für alle Betroffenen aus ganz Deutschland.

Unser Anliegen ist es, Mut zu machen für einen Weg auch ohne Kinder. Wir setzen uns kritisch mit den ganzen medizinischen Möglichkeiten auseinander. Wir beten füreinander und leiden auch miteinander. Neulich hat beispielsweise eine Frau, die kurz nach einer Fehlgeburt wieder schwanger war, berichtet, dass sie ihr Kind wieder verloren hat. Sie hat uns daran teilhaben lassen. Wir konnten so für sie beten und den schweren Weg ein Stück mitgehen.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!

Ihr Kommentar

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Kommentare (6)

Dorena /

Hallo !
Indirekt sind wir auch betroffen. Wir haben es so erlebt, der Verstand sagt, ja richtig, es muss ohne Kinder gehen,denn die Kraft reicht nur für uns als Paar mit Behinderung. Vor allem mehr

Daniela /

Danke für diesen Bericht über die ungewollte Kinderlosigkeit. Ich finde, gerade für Christen ist das Thema doppelt schwierig: die Frage, warum schenkt Gott uns kein Kind? Mein Mann und ich waren 8 mehr

s.k. /

obwohl ich selbst nicht betroffen bin, finde ich es sehr gut, dass kinderlose Ehepaare sich mit Gleichbetroffenen austauschen können. Ein Kind ist und bleibt ein Wunder und großes Geschenk und nur mehr

kathrin s. /

Danke für diesen Beitrag! Bin selbst betroffene und bin dankbar dafür, dass wir keine Kinder habe. Nicht dass wir keine wollten, nein, wir wollten auch Kinder. Inzwischen weiss ich aber, dass Jesus mehr

Naty /

Danke für dieses Interview. Es wird so oft davon ausgegangen, dass es nichts einfacheres gibt, als eine Familie zu gründen. Dass das nicht selbstverständlich ist, wird oft einfach totgeschwiegen. Das macht den Umgang mit dem Thema schwierig, da keiner so recht weiß, wie er damit umgehen soll.

Hehe /

Ich kann das sehr gut nachhvollziehen. Meine Schwiegertochter hat in diesem Jahr zwei Fehlgeburten erlitten. Sie sind schon 7 Jahre verheiratet, wünschen sich sehnlichst Kiner - aber bisher haben sie mehr

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