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© Fahad Faisal [CC-BY-SA-3.0-de]

25.06.2013 / Kommentar / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Wir alle tragen Verantwortung!

Eine Textilfabrik in Bangladesch stürzt ein und alle sind betroffen. Doch Billigkleidung bleibt weiter im Trend. Welche Verantwortung haben wir als Kunden?

Als Ende April in Bangladesch ein illegal aufgestocktes Fabrikgebäude einstürzte und mehr als 1.000 Menschen dabei ums Leben kamen, erregte das die volle Aufmerksamkeit der Medien. Seither ist wenig passiert. Erst letzte Woche protestierten bengalische Textilarbeiter für höhere Löhne, die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschossen gegen sie vor. In Deutschland wurde darüber nur vereinzelt berichtet, anscheinend ist das Thema schon abgehakt.

Das ist ja nicht verwerflich. Schließlich hat man sich intensiv für die Opfer stark gemacht. Ausführlich wurde über den Einsturz der Fabrik berichtet und anschließend in Talkrunden diskutiert, wer die Schuld am Unglück trage. Doch heraus kam nur, dass letztlich das System schuld ist und man daran wenig ändern kann. Diese Erkenntnis nahmen auch die Zuschauer der Talksendung von Günther Jauch am 26. Mai mit. Der Käufer wurde von aller Verantwortung freigesprochen.

Woher kommt mein T-Shirt?

Als Zuschauer, potenzieller Käufer und Christ fühlte ich mich aber nicht freigesprochen. Natürlich treffe ich nicht die bewusste Entscheidung, Näherinnen für einen Hungerlohn schuften zu lassen. Aber wieso frage ich mich nicht, wie es dazu kommt, dass ein T-Shirt nur 5 Euro kostet? Diese Frage stellt sich mir wenige Tage nach der Jauch-Sendung erneut – und noch nicht einmal in Deutschland. Ich stehe in London an der Kasse von Primark, einer irischen Billig-Textilkette. Selbst vor den Umkleidekabinen gibt es hier Schlangen. Ich betrachte das Top in meinen Händen und frage mich, wie der Preis von 3 Pfund zustande kommt. Sicherlich nicht durch fairen Handel.

Mit solchen Gedanken ist noch niemandem geholfen. Das ist klar, aber ich glaube fest daran, dass sich nur etwas ändert, wenn wir Kunden uns beim Einkaufen öfter solche Fragen stellen. Natürlich tragen vor allem die Produktionsfabriken die Schuld an solchen Unglücken. Natürlich gibt es Veränderungen, die nur Politik oder Wirtschaft herbeiführen können. Aber wir Kunden sind doch nicht dumm. Es mag nicht ersichtlich sein, wie das T-Shirt für 5 Euro hergestellt wurde, aber eines sollte uns bewusst sein: Für diesen Preis kann es nicht fair sein.

Das böse System und die armen Käufer

Doch anstatt etwas zu tun, trösten wir uns damit, dass das System schuld sei. Wir armen Kunden können ja nichts tun. Und die Fakten sprechen für uns. Schließlich berichtete Talkgast Sina Trinkwalder, dass ein Kleidungsstück schon als „Made in EU“ gekennzeichnet werden darf, wenn nur der letzte Produktionsschritt innerhalb der EU stattfand. Da können wir Kunden ja gar nicht fair einkaufen. Aber versuchen wir es überhaupt? Wenn ich in meinem Kleiderschrank mal genauer nachschaue, entdecke ich, dass auf vielen Kleidungsstücken deutlich sichtbar das belastende „Made in Bangladesch“ steht.

Wir als Kunden werden allein den Textilmarkt nicht umkrempeln, aber wir müssen anfangen wieder zu mündigen Käufern zu werden. Nachfragen, wo das T-Shirt herkommt, uns stark machen für bessere Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern. Bei unserem Fleisch wollen wir schließlich auch wissen, ob es sich dabei um Rind oder Pferd handelt. Wieso ist es uns bei unserer Kleidung oft scheißegal?

Ich bestimme als Kunde, wo es hingeht

Dabei möchte ich keineswegs zu übereilten Boykottaktionen aufrufen. Der Näherin in Bangladesch ist nicht geholfen, wenn sie statt eines Hungerlohns gar keinen Lohn mehr bekommt. Bei aller Ungerechtigkeit gilt leider auch: Ohne die Arbeit in einer Fabrik wären viele Menschen in Bangladesch deutlich schlechter dran. Die Textilindustrie stellt einen wichtigen Wirtschaftszweig des Landes dar. Deswegen ist niemandem geholfen, wenn die Konsequenz dieses Unglücks nur ist, nicht mehr in Bangladesch zu produzieren.

Das darf aber keine billige Ausrede sein, um weiter gewissenlos auf Schnäppchenjagd zu gehen. Was aber kann ich als Kunde verändern? Das Wichtigste ist zu verstehen, dass ich als Käufer Macht habe. Mit meinen Kaufentscheidungen nehme ich Einfluss auf den internationalen Textilmarkt. Natürlich ist mein Einfluss gering, aber würden alle Menschen von heute auf morgen nur noch Fairtrade-Kleidung kaufen, müssten die großen Unternehmen etwas ändern.

„Der Kunde ist König“, ist also kein platter Spruch, sondern beschreibt eine klare Wahrheit. Ich bestimme als Kunde, wo es hingeht. Was zählt bei mir: Gerechte Arbeitsbedingungen oder das schnelle Schnäppchen? Gisela Burckhardt, Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsvereinigung Femnet und Mitglied der Kampagne für Saubere Kleidung, hat in der Jauch-Sendung explizit vorgerechnet, wie viel teurer ein T-Shirt wird, wenn sich der Lohn für die Näherin verdoppelt. Und das war marginal. Wieso also diskutieren wir noch?

Bisherige Maßnahmen greifen zu kurz

Weil Geiz Geil ist. So einfach ist das. Dieser Werbeslogan gilt nicht nur für Elektronikartikel, sondern auch für Kleidung. Wir wollen von allem immer mehr zu immer weniger Kosten. Dass irgendwer dafür bezahlen muss, ist logisch. Doch solange es nicht ich bin, warum sollte es mich stören? Als Christ kann es mir aber nicht egal sein, ob jemand dafür leiden muss, dass ich mich neu einkleiden kann. Ich trage Verantwortung für meine Mitmenschen.

Deswegen gilt es umzudenken. Muss es immer ein neues T-Shirt sein oder tun es die anderen 20 in meinem Schrank auch noch? Veränderung wird nur geschehen, wenn wir anfangen, bewusst einzukaufen. Das heißt nicht, dass es ab sofort nur noch Fair-Trade-Jeans sein dürfen, aber vielleicht finde ich ja einen bezahlbaren Laden, der nicht ganz so ungerecht produziert. Auf der Webseite der „Erklärung von Bern“, der Schweizer Untergruppe der „Clean Clothes Campaign“, kann man zum Beispiel anhand einer Liste sehen, wie fair oder unfair Textilunternehmen produzieren. Auch bei Kampagnen und Petitionen kann ich mitmachen. Ein Arbeitsschutzabkommen, bei dem 40 Modeketten unterschrieben, hätte es vielleicht nie gegeben, wenn nicht mehr als eine Million eine Petition dafür unterschrieben hätten.

Doch dieses Abkommen, das sich nur zu Brandschutz- und Sicherheitsmaßnahmen äußert, aber Themen wie geregelte Arbeitszeiten und einen gerechten Lohn ausspart, greift noch zu kurz. Zudem gilt es bisher nur für Bangladesch. Das muss sich ändern. Es braucht weltweite Mindeststandards für die Textilherstellung. Aber das kann nicht von oben herab durch Staaten verordnet werden. Bei einer freien Marktwirtschaft wird diese Veränderung nur geschehen, wenn die Kunden dafür einstehen. Wenn wir nicht nur mit unserem Mund, sondern auch mit unserem Geldbeutel bekennen, dass uns faire Arbeitsbedingungen wichtig sind.

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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Kommentare (4)

Jaques L. /

Ich kann Waldemar L. nur zustimmen. Die Menschen haben einen Grund, diese Jobs anzunehmen. Nämlich den, dass es ihnen da, wo sie herkommen, noch schlechter geht. So wie es in Deutschland zur Zeit der mehr

Waldemar L. /

Warum ist "Made in Bangladesh" belastend? In den fast 15 Jahren meines Lebens in diesem Land habe ich fast keine Firma gefunden, die hier ihre Kleidung nicht produziert - vor allem die teuren Marken, mehr

kreisner /

Ich frage mich, ob die betroffenen Familien der Verunglückten nun eine Entschedigung bekommen???????????????????????????????????
Es waren Frauen, Mütter,...

Christina T. /

finde ich gut .
Es sollte einmal eine Liste ortsbezogen geben, wo man diese Textilien , die fais produziert sind kaufen kann.

Anmerkung der Redaktion: Für einzelne Orte gibt es das schon. Ich mehr

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