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02.12.2015 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Sonja Kilian

Hoffnung für Zwangsprostituierte

Marli Spieker will mit bewegenden Lebensberichten ehemaliger Prostituierter unterdrückten Frauen aus dem Rotlichtmilieu Mut machen.

 

Marli Spieker ist die Gründerin von Projekt Hannah, einer weltweiten Gebetsbewegung. Von Anfang an war es ihr Anliegen, Frauen zu ermutigen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Um dies zu verwirklichen, entwickelte Marli Spieker mit Hilfe von Projekt Hannah eine Radiosendereihe, die heute in über 100 Ländern Frauen in ihrer jeweiligen Muttersprache erreicht. Zurzeit liegt der 70-jährigen Gründerin eine besondere Zielgruppe am Herzen: Prostituierte.

 

ERF: Sie haben eine Initiative für Frauen namens Projekt Hannah gegründet. Was war der Auslöser dafür?

Marli Spieker: Seit ich ein Teenager bin, habe ich das Anliegen, Frauen zu dienen. Ich habe Mädchen im Kindergottesdienst unterrichtet, als ich selbst noch eine junge Frau war. Als ich später begonnen habe, mich mit der Situation von Frauen weltweit zu beschäftigen, ist mir folgendes aufgefallen: Frauen haben durchschnittlich weniger Bildung. Viele leben in intellektueller Dunkelheit und werden gesellschaftlich benachteiligt – aus kulturellen oder religiösen Gründen. Sie leben jedoch vor allem in geistlicher Dunkelheit: Sie wissen nicht, wie Gott sie gedacht hat. Ich möchte Frauen mit der guten Nachricht erreichen, dass sie wertvoll und von Gott unendlich geliebt sind.

Bibelwissen für Muslime

ERF: Wenn Sie dabei von Gott und von Ihrem christlichen Glauben erzählen, können Sie die Programme auch in traditionell islamisch geprägten Ländern nutzen?

Marli Spieker: Ja. Das tun wir. Wir haben zum Beispiel ein arabisches Radioprogramm. Nordafrika und Indonesien gehören zu unseren Zielgebieten, aber auch europäische Länder wie Albanien und die Türkei. Ein Großteil unserer Hörer sind Muslime. Wir erklären in den Sendungen Basis-Prinzipien aus der Bibel. Es werden aber jedes Mal auch praktische Dinge aus dem Alltag thematisiert, immer aus einer christlichen Perspektive. Da geht es zum Beispiel um Ehe, Kindererziehung, Gesundheit oder Bildung. Den Inhalt passen wir natürlich an die jeweilige Kultur an.
 

ERF: Jetzt wird gerade eine neue Sendereihe für Frauen produziert – diesmal für eine spezielle Zielgruppe. Für wen sind die Programme gedacht?

Marli Spieker: Wir wollen nicht einfach nur 69 Sprachen - und damit verbunden noch viel mehr Länder - erreichen. Wir haben auch spezielle Inhalte für besondere Zielgruppen. Eine davon sind Prostituierte. Viele von ihnen befinden sich unfreiwillig in diesem Milieu. Grund dafür sind Armut, weltweite Krisen und Konflikte, welche die Migration tausender Menschen verursachen. Besonders Frauen werden dabei gezielt ausgenutzt: Sie sind unsicher, haben Sprachprobleme und erleben großen finanziellen Druck. Die Opfer sind oft stark eingeschüchtert, werden bedroht oder mit Drogen gefügig gemacht. Auch in Deutschland gibt es tausende junger Frauen, die aus dem Ausland hierher geflüchtet sind. Statt eines besseren Lebens erwartet viele der Menschenhandel.

Weil diese Frauen Hilfe brauchen, habe ich mit Fachleuten zusammen die Initiative „Hidden Treasures“ (auf Deutsch: Verborgene Schätze) entwickelt. Wir wollen von Zwangsprostitution betroffenen Frauen Mut machen, sich Hilfe zu holen. Sie sollen wissen: Der Weg aus der Zwangsprostitution ist schwer, aber nicht unmöglich.

Menschen statt Ware

ERF: Wie ist es zu dem Namen „Verborgene Schätze“ gekommen?

Menschenhandel ist eine Form der internationalen organisierten Kriminalität. Er gilt weltweit als der am schnellsten wachsende Verbrechenszweig. Die International Labour Organization (ILO) schätzt die Gewinne aus dem Handel mit Menschen auf 31 Milliarden Dollar pro Jahr – mehr als der Gewinn aus Drogenhandel. Menschen werden wie Ware behandelt; sie werden gekauft, verkauft und systematisch ausgebeutet. Menschenhandel ist eine moderne Form der Sklaverei, die mitten in der Gesellschaft stattfindet. 

Marli Spieker: Mit 17 Jahren war ich noch recht neu im christlichen Glauben. Deshalb habe ich das Wort Gottes regelrecht verschlungen. An eine Begebenheit erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen: Ich lag auf meinem Bett und las Jesaja 45. Dort steht: „Ich werde dir die verborgenen Schätze geben und die versteckten Reichtümer geben.“ Ich wunderte mich, was wohl mit diesen verborgenen Schätzen gemeint sei.

30 oder 40 Jahre später war ich im Rotlichtviertel von Amsterdam unterwegs. Ich arbeitete mit einer örtlichen Organisation zusammen, die unter Prostituierten tätig ist. Als ich die Straßen entlangging, fiel mein Blick plötzlich auf ein Fenster zwischen all den anderen Schaufenstern. Dort stand dort eine Frau. Sie war zu 95 % nackt und verkaufte ihren Körper. Ich war geschockt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass sich eine Frau auf diese Weise anbietet. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein Restaurant, mit Fleischstücken in der Auslage. Ich dachte mir: „Da ist ja kein Unterschied!“ In diesem Moment fiel mir der Bibelvers mit den verborgenen Schätzen ein. Und ich dachte: „Diese Frau ist ein verborgener Schatz und weiß es nicht. Sie ist wertvoll in Gottes Augen, sie ist ein Juwel.“ Dieses Erlebnis war der Auslöser für unsere Initiative „Hidden Treasures“ („Verborgene Schätze“).
 

ERF: Wie können betroffene Frauen erreicht werden?

Marli Spieker: Dafür arbeiten wir von Projekt Hannah mit EFN (European Freedom Network) zusammen. Dieses Netzwerk kümmert sich um Frauen auf der Straße. Wir wollen Material zusammenstellen und im Rotlichtmilieu verteilen. Darauf zu hören sind Lebensgeschichten von Frauen, die sich aus sexueller Ausbeutung und Menschenhandel befreien konnten. Diese wahren Begebenheiten sollen betroffenen Frauen Mut machen und ihnen zeigen, dass es einen Ausweg für sie gibt. Es bewegt mich, dieses Leid zu sehen und den Schmerz, den viele von ihnen erleiden; doch die Berichte zeigen, dass Gott auch das Leben dieser Frauen wiederherstellen kann. Wir glauben, dass die Frauen erst wirklich frei sein können durch Jesus Christus. Denn auch nach der äußeren Freiheit, wenn sie dem Milieu entkommen sind, sind sie oft noch innerlich beschwert. 
 

ERF: Wie ist der aktuelle Stand dieses Projekts?

Marli Spieker: Inzwischen konnten wir in Deutschland eine Mustersendereihe in englischer Sprache aufnehmen. Wir werden die Audioprogramme in die fünf Sprachen übersetzen, die von sexuell ausgebeuteten Frauen in Europa am meisten gesprochen werden. Laut einer Untersuchung sind das derzeit Rumänisch, Russisch, Bulgarisch, Ungarisch und Englisch (hauptsächlich für Frauen aus Nigeria). Um auf das Projekt aufmerksam zu machen, hat ERF Medien ein Video über die Produktion der ersten Folgen des Audiodramas gedreht. Darin wird z.B. gezeigt, wie der Inhalt aufgebaut ist.
 

ERF: Was sind die nächsten Schritte?

Marli Spieker: Ich hoffe, dass wir die nötige Unterstützung und das nötige Material zusammenbekommen, um dieses Projekt erfolgreich abzuschließen. Es ist ein Geschenk von Gott, heutzutage die Technik zur Hilfe zu haben, um viele Menschen durch unterschiedliche Medien zu erreichen. 
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.

 
 Sonja Kilian

Sonja Kilian

  |  Redakteurin

Die verheiratete Mutter zweier Töchter liebt inspirierende Biografien. Deshalb liest sie gern, was Menschen mit Gott erlebt haben, schreibt als Autorin darüber und befragt ihre Gäste in Interviews auf ERF Plus.

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