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© Conny Wenk

08.03.2012 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Kim Rosta

„Sie hat mir die Augen geöffnet!“

Als ihre Tochter mit Down-Syndrom geboren wird, gerät Conny Wenks Leben ins Wanken. Heute ist sie mehr als dankbar dafür.

Es ging ihr wie den meisten Betroffenen: Als ihre Tochter Juliana mit dem Down-Syndrom geboren wird, ist die Fotografin und freie Autorin Conny Wenk erst einmal geschockt und verunsichert. Doch mit der Zeit erfährt sie, wie ein Kind mit einem Chromosom „extra“ zu einer wahren Bereicherung im Leben werden kann. Im Interview mit ERF Online erzählt sie davon.

 

ERF: Frau Wenk, Sie fotografieren leidenschaftlich gerne Kinder mit Down-Syndrom. Wie kamen Sie dazu?

Conny Wenk: Dass ich Kinder mit einem Chromosom mehr fotografiere, hat sich im Laufe der Jahre ergeben. 2004 kam mein erstes Buch "Außergewöhnlich" auf den Markt und danach kamen die ersten Fotoanfragen. So nahm das Ganze seinen Lauf. Und ich würde sagen, das ist reiner Zufall, dass es jetzt so viele sind, weil ich eigentlich jeden Menschen gerne fotografiere. Da mache ich keine Unterschiede. Ich fotografiere Kinder allgemein sehr gerne. Kinder mit Down-Syndrom unterscheiden sich natürlich, aber sie haben viel mehr gemeinsam mit Kindern mit 46 Chromosomen als Unterschiede.
 

ERF: Hinter Ihrer Leidenschaft, Kinder mit Down-Syndrom zu fotografieren, steckt auch eine persönliche Geschichte. Können Sie kurz davon erzählen?

Conny Wenk: Vor zehn Jahren wurde unsere Tochter Juliana mit Down-Syndrom geboren. Daraufhin geriet unsere Welt erst einmal ziemlich ins Wanken. Wir waren überfordert mit dieser überraschenden Diagnose. Wir wussten damals noch gar nichts über das Thema, sodass die Diagnose sehr viele Ängste und Unsicherheiten mit sich brachte. Irgendwann habe ich mich mit anderen Müttern getroffen, die auch Kinder mit Down-Syndrom haben, und so wurde ich immer vertrauter mit dem Thema.
 

ERF: Am Anfang war es ein Schock - heute strahlen Sie eine unglaubliche Lebensfreude aus. Wie sind Sie zu diesem Punkt gelangt?

Conny Wenk: Man muss diesen Weg selber gehen, um das zu verstehen. Wir hatten Gott sei Dank eine große Unterstützung durch unsere Familien und unseren Freundeskreis. Die standen uns optimistisch zur Seite. Auch mein Mann und ich haben uns nach der ersten Zeit der schlimmen Trauer gesagt: Das ist jetzt eine neue Herausforderung und das schaffen wir. Dann hat uns aber auch unsere Tochter den Weg gezeigt. Sie war so ein süßes Baby, ein süßes Mädchen, das man einfach nur lieben kann.
 

ERF: Welche Rolle spielte Ihr Glaube in diesem Prozess?

Conny Wenk: Eine große Rolle. Als wir von der Diagnose erfahren haben, habe ich die ganze Zeit überlegt: „Lieber Gott, was habe ich in meinem Leben Böses oder Schlimmes getan, dass ich so hart bestraft werde?“ Das waren meine allerersten Gedanken. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Inzwischen ist es umgekehrt. Ich danke Gott jeden Tag und frage mich: „Was habe ich Gutes getan, dass ich so reich beschenkt wurde? Danke lieber Gott, dass du mir durch meine Tochter die Augen geöffnet hast. Dass du mir gezeigt hast, wie man im Leben über den Tellerrand schaut und ich viele Sachen anders wahrnimmt.“

Früher war ich in diesem typischen Hamsterrad der Leistungsgesellschaft drin, doch durch meine Tochter wurden mir die Augen geöffnet. Ich schaue nun mehr in den Menschen herein, sehe erst einmal das Gute und frage mich bei Negativem: Warum handelt er so? Was stimmt da nicht? Darüber mache ich mir heute viele Gedanken. Meine Einstellung hat sich also um 180 Grad gedreht. Das hat aber gedauert. Man sagt ja, dass eine Lebenskrise eine Chance sein kann, aus der man gestärkt hervorgeht - und so fühlen wir uns.
 

Conny Wenk, 1967 in Pforzheim geboren, ist selbstständige Fotografin und Autorin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Stuttgart. Es ist ihr ein Anliegen, dass Menschen mit Down-Syndrom besser im öffentlichen Leben integriert werden und ein natürlicher Umgang zwischen Menschen mit und ohne Behinderung stattfinden kann. Zu diesem Zweck gründete sie mit anderen den Verein 46PLUS-Down-Syndrom Stuttgart e. V. Für ihren Einsatz für Menschen mit Down-Syndrom wurde ihr 2011 der „Moritz“ verliehen.

Seit 2004 veröffentlichte Conny Wenk mehrere Bücher, Bildbänder und Kalender. Mehr Informationen zu ihren Produkten finden Sie auf www.neufeld-verlag.de. Mehr über Conny Wenk und Ihre Arbeit erfahren Sie auf www.connywenk.com oder auf www.alittleextra.de. Den Kalender „A little extra“ von 2012, das Buch „Freundschaft“ sowie eine Bilderbox von Conny Wenk erhalten Sie auch über den ERF-Shop.

ERF: Konnten Sie Unterstützung durch Ihre Kirche finden?

Conny Wenk: Ich habe in dieser Zeit eher das Zwiegespräch mit Gott gesucht. Aber wir haben auch mit der Kirche positive Erfahrungen gemacht, zum Beispiel bei Julianes Kommunion. Da hatten wir bei uns zuhause ein sehr schönes Gespräch mit dem Pfarrer, der sich für das Thema Down-Syndrom sehr interessiert. Ich glaube, dass wir mit unserem Pfarrer sehr viel Glück hatten.
 

ERF: Viele Menschen haben Berührungsängste bei Menschen mit Down-Syndrom, gar nicht aus Bosheit, sondern vielmehr aus Unsicherheit. Ich beobachte das auch bei mir: Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, was versteht mein Gegenüber, was nicht?

Conny Wenk: Das kenne ich auch. Vor zehn Jahren noch habe ich verlegen weggeschaut, wenn ich einem Rollstuhlfahrer begegnet bin, weil ich nicht wusste, wie ich mich korrekt verhalte. Heute schaue ich überhaupt nicht mehr weg. Inzwischen sehe ich den Rollstuhl gar nicht mehr.
 

ERF: Wie können diese Berührungsängste abgebaut werden, sodass es zu einem ganz natürlichen und ungezwungenen Miteinander kommt?

Conny Wenk: Es ist natürlich leicht gesagt, aber am meisten hilft es, wenn man jemanden kennt. Denn das Problem ist die Unwissenheit, die dadurch kommt, dass man keine Berührungspunkte hat. Kommt es zum Kontakt mit einem behinderten Menschen, verliert man automatisch seine Berührungsängste.

Ein Beispiel: Mein Bruder war der einzige, der uns zur Geburt unserer Tochter beglückwünschte. Er hatte seinen Zivildienst in der Behinderten-Initiative abgeleistet und durch diese intensive Erfahrung war für ihn das Thema Anderssein überhaupt nicht mehr relevant. Als er dann von der Geburt erfahren hatte, beglückwünschte er uns ganz begeistert am Telefon. Ich dachte mir, dass er es noch nicht weiß, und erklärte ihm: „Du, deine Nichte ist aber anders, als du es dir wahrscheinlich vorstellst.“ Dann sagte er nur: „Ich habe das schon gehört. Ja und? Dann ist sie eben ein bisschen anders.“ Das war die tollste Reaktion, die wir erfahren haben. Alle anderen waren tief betroffen. Wir haben sogar das Buch „Trostgedanken“ zur Geburt bekommen (lacht). Ganz schlimm! Mein Bruder war der einzige, der uns richtige Glückwünsche überbracht hat.
 

Was ist das Down-Syndrom?
Menschen mit Down-Syndrom besitzen 47 statt 46 Chromosome. Das Chromosom 21 ist dreifach vorhanden – daher spricht man auch von Trisomie 21. Das Down-Syndrom ist keine Krankheit, sondern eine genetisch bedingte Veranlagung, die bestimmte körperliche Besonderheiten zur Folge hat: beispielsweise eine Schwäche des Bindegewebes und der Muskeln, Infektanfälligkeit und Fehlfunktion der Schilddrüse, Herzfehler oder Veränderungen im Magen-Darmbereich.

Die geistigen Fähigkeiten von Menschen mit Down-Syndrom sind eingeschränkt, wobei sie häufig unterschätzt werden. Durch die richtige Förderung können sie ihre Fähigkeiten stark verbessern. Hier erfahren Sie mehr über das Down-Syndrom.

ERF: Weil er schon mit Behinderten zusammengearbeitet hatte.

Conny Wenk: Genau. Deshalb finde ich es auch für unsere Kinder in Kindergärten so wichtig, solche Erfahrungen von klein auf zu sammeln, damit sie später diese Toleranz und Akzeptanz in die Gesellschaft bringen.

Mein Sohn ging beispielsweise in einen integrativen Kindergarten und ist jetzt auf der gleichen Schule wie meine Tochter, eine integrative Schule. Er hat selbst in seiner Klasse drei Jungs mit Down-Syndrom und für ihn ist es das Normalste überhaupt. Er weiß auch bis heute nicht, dass an seiner Schwester etwas anders ist. Ich warte jeden Tag noch auf diese Frage.
 

ERF: In meinem letzten Urlaub in Italien ist mir aufgefallen, wie viele Menschen mit Down-Syndrom in der Öffentlichkeit zu sehen sind, in Restaurants, am Strand, unterwegs mit der ganzen Familie. In Deutschland sehe ich nur selten Menschen mit Down-Syndrom - in Kinos und Restaurants erst recht nicht. Ist das nur mein Eindruck?

Conny Wenk: Aus diesem Grund fahren wir jedes Jahr nach Italien in den Urlaub! Die Italiener haben da einfach eine andere Brille auf. Für sie ist der Umgang mit Menschen mit Behinderung völlig normal. Wenn wir dort unterwegs sind, wird unsere Tochter genauso behandelt wie unser Sohn. Da denke ich manchmal: Sehen die gar nichts? Aber so sollte es eigentlich überall sein. In Deutschland habe ich bis vor der Geburt selbst niemanden mit Down-Syndrom gesehen. Hier wird eher geguckt und angestarrt.
 

ERF: Ist es auch Ziel Ihres Vereins 46Plus, Menschen mit Behinderung besser zu integrieren?

Conny Wenk: Ja. Wir haben uns zwei Ziele gesetzt: Zum einen möchten wir betroffene Eltern in Stuttgart und Umgebung unterstützen und Hilfestellung geben. Unser zweites großes Ziel ist die Öffentlichkeitsarbeit. Deshalb machen wir auch immer großangelegte Citylight-Kampagnen, Plakat- oder auch Postkartenaktionen und schalten viele Anzeigen. Das machen wir jetzt auch wieder zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März, um das Thema in die Öffentlichkeit und in das Bewusstsein der Menschen zu bringen.
 

ERF: Aufgrund dieser Kampagnen melden sich sicher viele Betroffene bei Ihnen, kommen mit ihrer Überforderung und ihren Fragen. Welchen Rat geben Sie diesen Menschen?

Conny Wenk: Es gibt nichts Besseres als den Austausch mit anderen Eltern von Kindern mit Down-Syndrom. Dieser Austausch ist aus meiner Sicht mit keinem Gespräch mit noch so einfühlsamen Experten - sei es Arzt oder Therapeut - zu ersetzen. Niemand kann einen besser verstehen als jemand, der den gleichen Weg gegangen ist. Der selbst erst lernen musste, mit solch einer gänzlich unerwarteten Situation umzugehen und der bereits bewältigt hat, was man ganz zu Anfang selbst nicht zu bewältigen glaubt. Ich rate ihnen also, diesen Kontakt zu suchen. Und ich mache Ihnen Mut, zuversichtlich und geduldig zu sein. Am Anfang war es für uns alle hart. Aber unsere Kinder zeigen uns den Weg.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch!


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Kommentare (5)

Bastian /

Ich finde, man sollte diesen Bluttest verbieten. Menschen mit Down-Syndrom können heutzutage durch Potenzial und Förderung Einiges aus sich machen. Manche haben sogar Abitur gemacht. Und ich denke, in 10, 20 Jahren werden es noch mehr geschafft haben.

Fredi K. /

Als Epileptiker;weg vom Elternhaus,Kinderheime,Internat in Schulzeit,später,in Epileptischer Anstalt,und wieder in verschiedenen Heimen;das zusammenleben mit Mongolieden,Geistig+Psychisch mehr

Le Quan Sáenz Gruezo /

Für uns war auch ein Schock als wir die überraschende Diagnose erfuhren. Liáng ist jetzt 2 Jahre alt und seit er 4 Monate alt ist, gehen wir mit ihm zum Arche-Treffen vom Down-Syndrom Köln. Dank dem mehr

Johanna S. /

Ich arbeite seit 11J.mit diesen>besonderen<Menschen zusammen u. halte daher aus eigener Erfahrung dieses Thema für unheimlich wichtig!!
Zum einen würde ich mir Gottesdienste in "einfacherer" Sprache mehr

Sabine H /

Reich beschenkt - so ist Gott -
er weiss was wir brauchen!
Wir haben auch einen sohn mit down Syndrom er ist jetzt 22 Jahre alt.
Ich kann Frau Wenk verstehen -
und kann nur bestätigen was Sie berichtet hat. Reich beschenkt!

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