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© TiM Caspary / pixelio.de

24.04.2013 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Das passiert anderen, aber nicht mir!

Ungewollt schwanger – was jetzt? Eine Abtreibung ist keine Lösung, weiß die Betroffene Claudia Wellbrock zu berichten.

Mit 17 Jahren wurde Claudia Wellbrock ungewollt schwanger. Einzige Lösung schien eine Abtreibung. Doch die Abtreibung brachte nicht die erhoffte Befreiung, sondern führte zum Selbstmordversuch. Heute klärt Wellbrock an Schulen über die Folgen einer Abtreibung auf.
 

ERF Online: Mit 17 Jahren haben Sie Ihr Kind abgetrieben. Wie war das für Sie?

Claudia Wellbrock: Zunächst habe ich gedacht, die Abtreibung würde mir Befreiung bringen, denn ich wollte meine Ausbildung weitermachen. Ich lebte damals in der DDR und da war Abtreibung erlaubt. Ich habe mir gedacht: „Wenn es erlaubt ist, dann ist es auch okay.“ Aber schon als ich ins Krankenhaus kam, hatte ich ein komisches Gefühl. Ich habe geweint, als ich für die OP vorbereitet wurde, und als ich aus der Narkose erwachte, habe ich auch geweint. Danach wurde ich in ein Mehrbettzimmer mit jungen Müttern gelegt, die ihre Babys zum Stillen gebracht bekamen. Das war für mich ganz furchtbar. Die Abtreibung war eine schlimme Erfahrung und keine Befreiung.

„Wer soll mir diese Schuld abnehmen?“

Claudia Wellbrock hat mit 17 abgetrieben. Heute lebt die fünfache Mutter in der Nähe von Karlsruhe. Auf ihrer Homepage findet man Lieder, in denen sie ihre Abtreibung verarbeitet. (Bild: privat)

ERF Online: Wie ging es Ihnen nach dem Eingriff?

Claudia Wellbrock: Nach meinem Eingriff bekam ich starke Blutungen und musste notoperiert werden. Danach sagte man mir, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann. Das war so das I-Tüpfelchen, da ging es mir richtig schlecht. Doch ich versuchte es zu verdrängen. Das ging eine gewisse Zeit gut. Aber sobald ich allein war, war dieses Kind da wie eine Wolke, die über mir schwebt. Es gipfelte irgendwann darin, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe, weil ich mit meiner Schuld nicht klarkam. Ich habe mich immer gefragt: „Wie kann ich weiterleben, wo ich einem anderen Menschen verwehrt habe zu leben? Wer soll mir diese Schuld abnehmen?“ Irgendwann habe ich versucht mir das Leben zu nehmen.
 

ERF Online: Man hat Sie zum Glück gefunden, Sie kamen ins Krankenhaus und danach in eine psychiatrische Anstalt. Dort sind Sie Gott begegnet und haben Vergebung erfahren. Wie ging es dann weiter?

Claudia Wellbrock: Durch Jesus war endlich diese erdrückende Last, die ich immer über mir gespürt habe, weg. Ich kann nicht sagen, dass es mir auf einen Schlag gut ging, aber die große Last der Schuld war weg. Ich wusste, mir ist vergeben. Trotzdem ging es mir mal besser und mal schlechter. So ist es noch heute, aber ich weiß mich von Gott getragen.

„Der Partner spielt eine große Rolle“

ERF Online: Sie arbeiten nun bei Rahel. e.V. mit, einem Verein, der Frauen nach einer Abtreibung helfen will. Von welchen Erfahrungen berichten andere Betroffene?

Claudia Wellbrock: Eigentlich berichten viele Betroffene von ähnlichen Erfahrungen, wie ich sie erlebt habe. Das Post Abortion Syndrom (PAS) hat ganz typische Merkmale: Man hat das Gefühl, einfach nur noch zu funktionieren. Ebenso dazu gehören das Absterben des Gefühlslebens, unmotiviertes Weinen, Traurigkeit, Gefühlsschwankungen, Selbstmordgedanken und Depressionen. Von diesen Symptomen berichten auch Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben.

Mittlerweile melden sich auch immer mehr Männer bei uns, denen es genauso geht - und die sind oft noch hilfloser. Denn die Männer haben keine Chance ihr Kind zu schützen, da in Deutschland gesetzlich geregelt ist, dass die Frau ganz allein über eine Abtreibung entscheiden darf. Der Mann hat kein Mitspracherecht. Das ist ein Manko, denn es gibt auch Männer, die ihre Verantwortung wahrnehmen wollen und die haben dann keine Chance dazu.
 

ERF Online: Welche Rolle spielt der Partner bei solchen Entscheidungen?

Claudia Wellbrock: Der Partner spielt eine große Rolle. Es ist leichter für die Frau, sich für das Kind zu entscheiden, wenn der Partner sagt: „Wir schaffen das, ich stehe zu dir.“ Das ist eine große Hilfe für die Frau. Aber es gibt auch Frauen, die das Kind einfach nicht wollen, obwohl der Partner sie unterstützt. Das Schlimmste ist meiner Ansicht nach, wenn Männer sagen: „Mach was du willst. Ich stehe zu beidem.“ Das empfinde ich als unfair der Frau gegenüber, weil die Frau die Entscheidung dann ganz alleine treffen muss.
 

ERF Online: Gibt es auch Frauen, die zur Abtreibung gedrängt oder überredet wurden?

Claudia Wellbrock: Ja, viele Frauen berichten davon, dass sie vom Partner gedrängt wurden. Ich habe gerade eine Frau vor Augen, wo der Partner gesagt hat: „Wenn du das Kind kriegst, verlasse ich dich.“ Sie hat abgetrieben, kam damit nicht klar und die Beziehung ging trotzdem auseinander.

Abtreibung ist nach wie vor Tabuthema

ERF Online: Als Christin besuchen Sie auch christliche Frauengruppen und reden dort über dieses Thema. Ist Abtreibung denn ein Thema, von dem auch Christinnen betroffen sind?

Claudia Wellbrock: Das ist eine gute Frage. Ich komme viel besser in die Schulen rein als in die Gemeinden. Das ist wirklich ein Problem. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Gemeinden sagen: „Wir haben mit dem Thema nichts zu tun.“ Es ist nach wie vor ein Tabuthema. Viele Leuten wollen auch keine Stellung beziehen und sagen: „Die Frau soll das selbst entscheiden“
 

ERF Online: Glauben Sie, dass da der Gedanke mitschwingt „Bei uns kommt das sowieso nicht vor“?

Claudia Wellbrock: Genau so ist es, weil keiner darüber spricht. Viele Frauen gehen zur Abtreibung in ein anderes Bundesland. Deshalb weiß man nicht davon und denkt: „Bei uns kommt das nicht vor.“ Aber wenn ich Frauentreffen halte und das Thema anspreche, merke ich, dass es sehr wohl ein Thema in Gemeinden ist. Nach einem Treffen kam einmal eine ältere Dame auf mich zu. Sie weinte und ging regelrecht vor mir auf die Knie. Sie war so dankbar, dass ich über das Thema gesprochen habe und sie endlich darüber reden konnte. Sie war schon über 80, hatte in jungen Jahren auch eine Abtreibung gehabt und das bis zu diesem Tag mit sich herumgeschleppt.

Schulen erklären nur, wie man ein Kondom verwendet

ERF Online: Sie gehen auch in Schulen und engagieren sich in der Aufklärungsarbeit unter Jugendlichen. Wie sprechen Sie das heikle Thema bei Jugendlichen an?

Claudia Wellbrock: Mithilfe einer Powerpoint-Präsentation kläre ich die Schüler über die gesetzliche Lage, verschiedene Methoden der Abtreibung und die Folgen einer Abtreibung für die Frau auf. Ganz am Schluss erzähle ich den Schülern meine Geschichte. Das mache ich bewusst am Ende und dann sehe ich, wie die Augen groß werden. Ich merke dann: Jetzt glauben sie mir.
 

ERF Online: Aufklärung wird in Schulen ja groß geschrieben. Würden Sie sagen, dass ungewollte Teenagerschwangerschaften immer noch ein Problem sind?

Claudia Wellbrock: Das Problem bei der Aufklärung heutzutage ist, dass nur erklärt wird, wie man am besten ein Kondom verwendet. Aufklärung wie ich sie mache, findet an den Schulen nicht statt.
 

ERF Online: Kann man nicht davon ausgehen, dass weniger Teenagerschwangerschaften zustande kommen, wenn Schüler ein Kondom benutzen können?

Claudia Wellbrock: Eben nicht. Ein Kondom verhindert nicht unbedingt eine Schwangerschaft, denn es kann platzen. Die Jugendlichen sind da sehr blauäugig. Eine hat mal zu mir gesagt: „Ich wusste ja nicht, dass man beim ersten Mal schon schwanger werden kann.“ Viele Jugendliche denken: „Das passiert anderen, aber mir nicht.“ Aber es passiert eben doch.

„Was ist Abtreibung in Ihren Augen?“

ERF Online: Wie reagieren die Lehrer auf Ihren Vortrag?

Claudia Wellbrock: Insgesamt eher positiv. Ich habe aber auch schon eine Lehrerin an einer Hauptschule in Köln gehabt, die es unmöglich fand, dass ich Abtreibung Mord genannt habe. Ich habe sie hinterher gefragt: „Was ist Abtreibung denn in Ihren Augen?“ Sie sagte: „Totschlag, weil Mord ist mit Vorsatz.“ Ich erwiderte: „Abtreibung ist ja mit Vorsatz. Ich gehe dahin und will dieses Kind töten.“ Für mich war es Wortklauberei, die Lehrerin regte sich aber sehr auf und hat es sogar geschafft, dass geplante Vorträge in anderen Klassen abgesagt wurden. So was passiert leider auch. Aber das war das einzige Mal, die meisten Lehrer sind dankbar.
 

ERF Online: Man könnte ja auch denken, dass Lehrer sagen: „Wir machen schon Sexualkundeunterricht, da muss niemand mehr zu dem Thema kommen.“

Claudia Wellbrock: Ja, das kommt sehr häufig an Gymnasien vor. Aber gerade hier wäre es meiner Ansicht nach wichtig, weil dort die angehenden Ärzte und Anwälte sitzen. Die Hauptschulen sind Brennpunkte, da sind die Lehrer sehr dankbar. Aber an Gymnasien zu kommen ist schwierig.

Die ergebnisoffene Beratung bringt nichts

ERF Online: Sie lebten zum Zeitpunkt Ihrer Abtreibung in der DDR, wo Abtreibungen erlaubt waren. In Deutschland braucht man einen Beratungsschein, um legal abtreiben zu dürfen. Was ist Ihre Meinung als Betroffene zu dieser Praxis?

Claudia Wellbrock: Es ist ein Witz, eine reine Ausstellung von Scheinen.
 

ERF Online: Müsste man diese Praxis überdenken, um weniger Abtreibungen zu haben?

Claudia: Ja. Ich habe mal bei Pro Familia angeboten, den Beraterinnen meinen Vortrag zu zeigen, damit sie anders an die Beratung herangehen. Aber dieser Vorschlag wurde dankend abgelehnt. Ich bin fest davon überzeug, dass das eine oder andere Kind nicht abgetrieben würde, wenn man die Frauen wirklich beraten und nicht nur Scheine ausstellen würde.
 

ERF Online: Wäre hier auch die Politik gefragt, etwas zu verändern?

Claudia Wellbrock: Ja, es muss einfach mehr aufgeklärt werden. Laut Gesetz muss die Beratung ergebnisoffen sein, aber das ist ja keine wirkliche Beratung. Wenn ich jemanden berate, dann berate ich ihn für oder gegen eine bestimmte Sache. Hier müsste vom Gesetz klar definiert werden, dass die Beraterin auch ihre Überzeugung rüberbringen darf. Wenn ich davon überzeugt bin „Das Kind darf nicht getötet werden“, dann muss mir auch erlaubt sein, das zu sagen. Und was noch geändert werden muss, wäre der schon genannte Bezug des Vaters zum Kind: Bisher hat der Vater kein Mitspracherecht, das müsste sich auch ändern.
 

ERF Online: Die Beratung ist ja bewusst „ergebnisoffen“, weil vermieden werden soll, dass die Frau zu irgendetwas gedrängt wird. Wäre es dann nicht sinnvoll, die Beratung so zu belassen wie sie jetzt ist, um die Frau nicht zu irgendwas zu überreden?

Claudia Wellbrock: Aus meiner Erfahrung wollen Frauen gern Hilfe bekommen. Aber ihnen zu vermitteln: „Mach, was du willst“, ist keine Hilfe. Ich denke, es ist wichtig Hilfesuchende aufzuklären. Die Frau kann sich dann immer noch frei entscheiden. Aber Frauen müssten zumindest erfahren, was bei einer Abtreibung passiert. Mir hatte mein Arzt damals gesagt: „Das ist nur ein Gewebeklumpen, das ist noch kein Kind.“ Das war eine glatte Lüge. Man kann natürlich nicht hingehen und sagen: „Du darfst das nicht“, aber man sollte Frauen zeigen, dass es zwei Wege gibt und ihnen klarmachen, welche Probleme mit einer Abtreibung verbunden sind.
 

ERF Online: Müsste sich auch in der Gesellschaft etwas verändern?

Claudia Wellbrock: Ja, unsere Gesellschaft muss wieder familienfreundlicher werden. Das ist im Moment nicht so. Zwei Kinder ist okay, aber wenn man mehr Kinder hat, wird man schief angeguckt. Kinder sind unsere Zukunft. Deswegen muss mehr Mut gemacht werden zum Kind und es muss Familien leichter gemacht werden, ein Kind zu bekommen. Viele Frauen in der Beratung sagen: „Ich kann mir das Kind einfach nicht leisten.“ Das ist ein Unding und muss sich ändern.
 

ERF Online: Vielen Dank für das Interview.


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 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Sie schätzt an ihrem Job, mit verschiedenen Menschen und Themen in Kontakt zu kommen. Sie ist verheiratet und mag Krimis und englische Serien.

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Kommentare (5)

Harry P. /

Die PBC kämpft schon seit 1989 politisch gegen die Abtreibung,wo bleibt die Unterstützung?

B. Kiczka /

Sehr geehrte Frau Wellbrück,
Es ist gut, dass Sie diese Arbeit aus eigener Erfahrung machen. Auch für diese Schuld ist Jesus Christus am Kreuz gestorben.
Ich versuche mich durch Gespräche mehr

Brigitte /

Also, ich stehe auf Kriegsfuss mit dem Sexualkundeunterricht in den Schulen, der ja oft schon in der 3. Klasse Grundschule gelehrt wird. Ich finde es ziemlich krank, wenn 9-10jährige Jungen sich nur mehr

Gisela G. /

Ich habe eine andere schwere Erlebnis gehabt und zwar war ich im Januar 1978 im 2. Schwangerschaft Ende 5. und Anfang 6. Monat schwanger und hatte das ungeborene Tochter gespürt und das Herz gehört mehr

Dorena /

Geahnt habe ich schon immer,dass es mit dem Beratungschein nicht sein Bewenden haben kann. Mir wäre es gerade aufgrund des gesellschaftlichen Klimas,wo in den Werbeplakaten überall nackte Tatsachen mehr

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